Vergleichende Raumwissenschaft und raumbezogenes Vergleichen: Ein Plädoyer für methodologische Ernsthaftigkeit und wider post-moderner Beliebigkeit geographischen Arbeitens

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 14
Autor*innen
Matthias Gebauer (Universität Bayreuth)
Kurz­be­schreib­ung
Der Mensch ist in seinem Dasein immanent an Prozesse des Vergleichens gebunden und diese sind unausweichlich räumlicher Natur. Denn von Beginn an werden die Lebenswelt strukturierende Erfahrungen in sozialer und räumlicher Art von Distanz und Nähe, Ordnung und Chaos, Zugehörigkeit und Fremdheit, etc. gemacht. Der Beitrag ist daher ein Plädoyer für eine vergleichende Raumwissenschaft und eine Einforderung methodologischer Ernsthaftigkeit.

Abstract

Der Phänomenologe Yi-Fu Tuan (1991) vermochte es, den wissenschaftlichen Arbeitsauftrag der Geographie auf einen entscheidenden Satz zu bringen: Geographie ist die Wissenschaft der Erde als das Zuhause des Menschen. Entsprechend definiert sich der epistemologische wie methodologische Arbeitsauftrag. Und Geographie kann somit auch nur den Platz einer brauchbaren, die Zustände und Transformationen menschlichen Seins auf dem Planeten Erde abzubildenden und zu gestaltenden Wissenschaft einnehmen, wenn sie sich sowohl in ihren Fragestellungen als auch in der Art und Weise des wissenschaftlichen Arbeitens an eben jenem Da-Sein des Menschen auf der Erde orientiert. Dies schließt das sich befassen mit semantischen Fiktionen und vermeintlich wirkmächtigen Welten in den Köpfen (gerne auch als Diskurse bezeichnet) kategorisch aus. Stattdessen möchte der Beitrag eine sehr basale raumwissenschaftliche Arbeitsweise in den Mittelpunkt stellen, nämlich den raumbezogenen Vergleich. Der Mensch ist in seinem Dasein immanent an Prozesse des Vergleichens gebunden und diese sind unausweichlich räumlicher Natur. Denn von Beginn an werden die Lebenswelt strukturierende Erfahrungen in sozialer und räumlicher Art von Distanz und Nähe, Ordnung und Chaos, Zugehörigkeit und Fremdheit, etc. gemacht. Eine Geographie, die aus künstlich-distinktiver Widerstandshaltung gegen den Raumbegriff auch gleich jede Legitimität des methodologischen Vergleichens in Frage stellt, vermisst also jeden Bezug zum eigenen Arbeitsgegenstand. Im raumwissenschaftlichen Vergleich steckt stattdessen in gleichem Maße das sich Befassen mit Gesetzmäßigkeiten und Widersprüchen der Natur des Menschen auf der Erde (Ritter 1818), den systematischen Zusammenhängen und Verschränkungen anthropologischer Prozesse (Hettner 1895), als auch der nur ansatzweisen Annäherung an die sozialräumlichen Dimensionen des Realen, des Tatsächlichen und des Empirischen (Sayer 2000). Der Beitrag ist daher ein Plädoyer für eine vergleichende Raumwissenschaft und für den raumbezogenen Vergleich in einer Geographie, die sich mit der nötigen methodologischen Ernsthaftigkeit den universellen Herausforderungen einer Wissenschaft der Erde als Zuhause des Menschen stellt.