Verlust im Wandel: Arbeit, Identität und Raum ostdeutscher Werften

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 7
Autor*innen
Nora Küttel (MLU Halle-Wittenberg)
Kurz­be­schreib­ung
Der Vortrag setzt sich mit den vielschichtigen Transformationsprozessen ostdeutscher Werften auseinander und fokussiert dabei die Werftarbeiter*innen und ihr Erleben und Erinnern ständiger Unsicherheiten, Brüche und Verluste.
Schlag­wörter
Deindustrialisierung, Verlust, Labour Geography, Erinnerung, Ostdeutschland

Abstract

Die ostdeutsche Schiffbauindustrie befindet sich seit Jahrzehnten im Umbruch, wie der Fall der (ehemaligen) MV Werften in Rostock-Warnemünde, Stralsund und Wismar zeigt: Einst Volkseigene Betriebe der DDR, wurden sie nach der deutschen Wiedervereinigung privatisiert und seit 1990 mehrfach veräußert. Nach der (finalen) Insolvenz im Januar 2022 wurden sie schließlich an drei verschiedene Interessenten verkauft: die Stadt Stralsund, thyssenkrupp Marine Systems und die deutsche Marine.

Dieser jüngste Wandel ist Teil eines lang anhaltenden Prozesses mehrerer Wellen des Wandels und Niedergangs im deutschen Schiffbau im Allgemeinen und in den ostdeutschen Werften im Speziellen. Die Werftarbeiter*innen sind dabei diejenigen, die in besonderer Weisen den ständigen Unsicherheiten und Brüchen ausgesetzt waren/sind. Ferner, wie Brunnbauer et al. (2022, S. 50, 207) festhalten, waren staatssozialistische Betriebe mehr als Produktionsstätten materieller Güter. Vielmehr war die Arbeit in hohem Maße mit der Produktion von Sinn und Gemeinschaft verbunden und diente als ein wesentlicher Mechanismus staatlicher Kontrolle. Folglich handelte es sich selten nur um Lohnarbeit: Die Arbeit bestimmte auch den kulturellen, sozialen und politischen Alltag sowie die Biographie des*der Einzelnen. Arbeit fungierte so als wichtiger Produzent von Identität, Sinn und Zugehörigkeit.

Das Forschungsprojekt, aus dem vorgetragen werden soll, betrachtet Transformationen daher als Prozesse der Dis-/Kontinuität und fragt, wie diese (ver)schwindende Industrie eine Erfahrung des Verlusts für die Arbeiter*innen schafft und wie dies in Bezug auf die breiteren Bedeutungen erlebt wird, die die Schiffbauindustrie in den jeweiligen Städten und Regionen über Jahrzehnte und Generationen bot. Es fragt daher auch danach, was verloren geht (und was bleibt), wenn die Industrie, die ein prägendes Merkmal war, zurückgeht. Und welche Wertesysteme, (materiellen) Strukturen und/oder sozialen und kulturellen Praktiken überleben den Wandel, bleiben individuell und kollektiv in Erinnerung und welche gehen verloren?

Industrie wird im Rahmen des Projektes als „the crux of constructions of place and identity“ (Rhodes, 2013, S. 56) betrachtet. Nach Massey (1994, 1995) sind places dynamische Konstrukte sozialer Beziehungen, die multiple, temporäre und unsichere Identitäten haben und daher untrennbar mit Zeit verbunden sind. Während also für einige Transformationen als Fortschritt erlebt werden, sind sie für andere das Ende (und der Verlust) von etwas (High & Lewis, 2007). In der Betrachtung der Werften als Orte, an denen auch kulturelle, symbolische und soziale Beziehungen hergestellt werden, interessiere ich mich insbesondere für Erinnerungsnarrative von (aktiven und ehemaligen) Arbeiter*innen und die Emotionen, die mit dem Transformationsprozess in diesem sich wandelnden Umfeld industrieller Lohnarbeit verbunden sind. Hierauf möchte ich in dem vorgeschlagenen Vortrag meinen Schwerpunkt legen.