Vernachlässigte Räume im Kontext gleichwertiger Lebensverhältnisse: Eine Verortung
Abstract
Das gegenwärtige hohe Interesse an vernachlässigten Räumen wird oft mehr oder weniger unverblümt mit dem populistischen Wahlverhalten dortiger Bevölkerungsteile begründet. Gerade angelsächsische Beiträge sind hier explizit und scheinen erst durch Brexit und Trump ein Interesse an der Entwicklung weniger dynamischer Regionen entwickelt zu haben. In Deutschland ist die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Grundgesetzt geboten und im Raumordnungsgesetz konkretisiert und verortet. Entsprechend befasst sich die Raumordnung seit langem mit der Bewertung und Angleichung regionaler Lebensverhältnisse. Nicht zuletzt aufgrund der Wiedervereinigung sind Entwicklungsmaßnahmen und Förderprogramme für „schwache“ Räume etablierte Politik.
Sind vernachlässigte Räume also kein (neues) Thema? Gleich mehrere empirische Studien zur Messung ungleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland seit etwa 2018 deuten an, dass auch hierzulande die Suche nach vernachlässigten Räumen Konjunktur hat. Unser Beitrag möchte die Debatte um vernachlässigte Räume im deutschen Kontext gleichwertiger Lebensverhältnisse verorten. Wir beziehen uns hierzu auf unsere Studie zur Bewertung ungleicher Lebensverhältnisse, die für das BBSR erstellt wurde (BBSR 2020). Die Studie identifiziert zwei sehr unterschiedliche Gebietstypen, deren Lebensverhältnisse herausgefordert sind: „Städte mit günstiger Altersstruktur und hohen sozialen Herausforderungen“, die etwa im Ruhrgebiet zu finden sind und „ländliche Regionen mit erkennbaren sozialen Herausforderungen, Bevölkerungsrückgang und ungünstiger Altersstruktur“, die häufig in Ostdeutschland liegen. Inwiefern die beiden Gebietstypen als vernachlässigte Räume gelten können oder eher die Sinnhaftigkeit der Kategorie „vernachlässigt“ hinterfragen, diskutiert unser Beitrag.