Versorgen und sichern: Wechselseitige Abhängigkeiten räumlicher Praktiken von Straßenbäumen und Straßenbau

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 10
Autor*innen
Christine Neubert (Universität Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
In einer Multispezies-sensiblen Ethnographie konzentriere ich mich auf die Interdependenzen zwischen pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebensräumen bei Baustellen. Der Vortrag thematisiert 'versorgen' und 'sichern' als räumliche Praktiken von nicht-menschlichen und menschlichen Akteuren, die im Zuge der Praxis der Straßenbaustelle verhandelt werden.

Abstract

Der Vortrag thematisiert räumliche Praktiken von nicht-menschlichen und menschlichen Akteuren, die sich bei einer Straßenbaustelle wechselseitig bedingen. Im Kontext meiner ethnografischen Forschung zu Baustellen im urbanen Raum werden Bäume und Bepflanzungen als wirkmächtige Akteure im Straßenbau verstanden und als solche auf ihre alltäglichen Praktiken hin untersucht. Ihre Raumwirksamkeit (Schroer 2022) bei der Nährstoffversorgung und Sicherung von Habitat in dicht bebauten Umgebungen wird im Zuge von Baustellen und offenen Baufeldern deutlich sichtbar: dichte Wurzelballen, nach oben drückende Starkwurzeln, beschädigtes Straßenpflaster zeugen von räumlichen Bedarfen pflanzlicher Akteure. Verantwortliche der Baumaßnahme wie Bauherr*in, Bauüberwachung und Baufirma stehen vor der Herausforderung, sowohl den Schutz der „grünen Infrastruktur“ (Flitner 2017) und die Versorgung der Bäume während und nach der Baumaßnahme zu gewährleiten als auch z.B. tatsächlich sichere Nebenflächen (Gehwege) herzustellen. Denn der Kompromiss von nicht gepflasterten, sondern nur mit speziellem Sand aufgefüllten Stellen im Gehweg, um mehr Luft- und Wasserdurchlässigkeit in den Boden zu ermöglichen, birgt Unsicherheiten, etwa durch Stolperkanten für Fußgänger*innen.

Dies verdeutlicht exemplarisch, worum es mir im Vortrag geht. Ein Ziel meiner praxeologischen Baustellenforschung ist, die Störung und Verhandlung von menschlichen und nicht-menschlichen Lebensräumen aufzuzeigen. Im Hamburger Tief- und Straßenbau, wo ich die Erhebung durchgeführt habe, haben der Grün-Schutz, der Schutz von Flora und Fauna, eine besondere Stellung. Bedingt durch nicht zu unterdrückende Starkwurzeln oder Vogelnester in Baumkronen kann es zu Bauverzögerungen oder ad hoc-Umplanungen kommen. In einer Multispezies-sensiblen Ethnografie konzentriere ich mich auf diese Problematisierung der Interdependenzen zwischen pflanzlichen, tierischen und menschlichen Lebensräumen, die im Praxiszusammenhand Baustelle aufkommen und vor Ort bearbeitet, das heißt gelöst werden müssen.

Flitner, Michael. 2017. Grüne Infrastruktur und die Erneuerung städtischer Naturen. In: Infrastrukturen der Stadt. Hrsg. Flitner, Michael, Julia Lossau und Anna-Lisa Müller. Wiesbaden: Springer, S. 45-64.

Schroer, Markus. 2022. Geosoziologie. Die Erde als Raum des Lebens. Berlin: Suhrkamp.