Von autofokussiert zu autoreduziert: Wie prägen die Überzeugungen organisierter Akteur*innen die Transformation der Quartiesentwicklung?
Abstract
Das Leitbild der autogerechten Stadt (Reichow 1957) sowie die über Jahrzehnte daran ausgerichtete Planung und Politik prägen die Raumentwicklung in Deutschland bis heute. Die negativen Konsequenzen werden insbesondere in Großstädten deutlich. Aufgrund dessen gelten Mobilität, Verkehr und Stadtentwicklung als zentrale Handlungsfelder einer sozial-ökologischen Transformation.
Autoreduzierte und autofreie Quartiere können als Entwicklungen verstanden werden, die die autofokussierte Planung in Frage stellen. Obwohl einzelne Quartiere dieser Art existieren, stellen sie bisweilen jedoch keinen Planungsstandard dar. Etablierte Planungsroutinen als Teil eines „System of Automobility“ (Urry 2004) scheinen einen fundamentalen Wandel zu verhindern. Folglich lässt sich für die Mobilitätswende auch die Transformation mobilitätsbezogener Governance als notwendige Voraussetzung ableiten. Bisweilen nimmt die geographische Mobilitätsforschung diesen Aspekt der Mobilitätswende jedoch kaum in den Blick.
Aufgrund dessen untersucht diese Arbeit am Beispiel der Lincoln-Siedlung in Darmstadt die Planung und Umsetzung eines autoreduzierten Quartiers. Ausgangspunkt der Forschung ist die Annahme, dass sich die Entwicklung aufgrund ihrer normativen und transformativen Implikationen in prozessualer, inhaltlicher, instrumenteller sowie operativer Dimension von üblichen Stadtentwicklungen unterscheidet. Angenommen wird des Weiteren, dass sich in diesem Prozess unterschiedliche Einstellungen und Positionen der Akteur*innen aus der Stadtverwaltung, Wohnungswirtschaft, Zivilgesellschaft und von Mobilitätsdienstleister*innen gegenüberstehen.
Ziel der Forschung ist folglich, herauszufinden, (a) wie die unterschiedliche Positionen vertretenden Akteur*innen das nachhaltige Mobilitätskonzept aushandeln (b) wie die Überzeugungen der involvierten Akteur*innen in Planungshandeln und Maßnahmen übersetzt werden und (c) inwiefern sich hierin eine Transformation von autoorientierter hin zu autoreduzierter Planung als Beitrag zur Mobilitätswende widerspiegelt.
Als theoretischer Rahmen dient der durch die Transition Studies geprägte Ansatz des Transition Management (Loorbach 2010) zur Analyse und Strukturierung praktischer Governanceprozesse. Annahmen des Advocacy Coalition Framework (Sabatier 1988) zum Einfluss der Überzeugungen und Wertevorstellungen von Akteur*innen auf politische Prozesse ergänzen die theoretische Fundierung. Methodisch basiert die Arbeit auf leitfadengestützten Expert*inneninterviews, die mit unterschiedlichen an der Entwicklung beteiligten Akteur*innen geführt und mit Hilfe einer strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet wurden.
Die Forschung trägt damit zu einer akteursorientierten und anwendungsbezogenen Perspektive auf die sozial-ökologische Transformation urbaner Mobilität bei und bietet wichtige Erkenntnisse dazu, wie planende Akteur*innen das autogerechte Planungsparadigma überwinden können.