Von Straßen zu Plätzen: Konflikte durch temporäre Umgestaltungen zu autofreien Räumen und dahinterliegende Motive und Emotionen verstehen
Abstract
Aktuell ist ein Großteil des öffentlichen Raums in Städten durch den fließenden und ruhenden Autoverkehr belegt. Wird der Verkehr im Rahmen der Mobilitätswende künftig verstärkt auf Verkehrsmittel des Umweltverbunds verlagert, werden gleichzeitig Flächen der knappen Ressource des öffentlichen Raums für andere Nutzungen frei. Zudem kann die Mobilitätswende durch die bewusste Zuteilung des öffentlichen Raums für nachhaltige Verkehrsarten gezielt gefördert werden. Allerdings läuft die Neuordnung des Raumes nicht ohne Konflikte ab. Hierbei stellt sich die Frage, wodurch diese Konflikte entstehen und welche Einstellungen und Motive dahinter stecken.
Auch auf kleinräumiger Ebene zeigen sich wesentliche Konflikte, wenn es um eine neue Aufteilung des öffentlichen Raums geht. Dies wurde im Rahmen von mehreren Realexperimenten in Berlin deutlich, bei denen temporär ein Straßenzug oder eine Straßenkreuzung autofrei wurde und neue Nutzungen erprobt wurden. Die Ergebnisse von quantitativen Haushaltsbefragungen und die Erfahrungen vor Ort zeigen, dass die Transformation überaus kontrovers aufgefasst wird. Etwa ebenso viele Menschen sehen sie positiv wie negativ. Welche Motive hinter diesen Sichtweisen stecken, wurde anhand von über zwanzig qualitativen Tiefeninterviews mit Anwohnenden und Gewerbetreibenden rund um den temporär autofreien Raum untersucht. Die Methode der Tiefeninterviews ermöglicht es, Einstellungen und damit verbundene Emotionen zu erforschen. Die Ergebnisse zeigen zum einen, dass unterschiedliche Konflikte, wie Prozesskonflikte oder auch Verteilungskonflikte, eine Rolle spielen und diese mit unterschiedlichen Emotionen besetzt sind. Je nachdem, welche Emotionen, wie etwa Wut oder Frustration, überwiegen, werden unterschiedliche Abwehrhaltungen eingenommen. Zum anderen wird deutlich, dass die Ablehnung der temporären Umgestaltungen des Straßenraums nicht nur auf das Thema Mobilität zu reduzieren ist, sondern zum Teil durch negative Assoziationen mit politischen Prozessen oder historischen Gegebenheiten hervorgerufen wird.
In dem Beitrag werden die untersuchten Konflikte der temporären Umgestaltung des öffentlichen Raums im Rahmen der Realexperimente systematisch aufbereitet und der Zusammenhang zu Emotionen aufgezeigt. Durch diesen Zugang wird das Verständnis der Konflikte geschärft und es werden Handlungsmöglichkeiten für die Praxis aufgezeigt, mit ihnen umzugehen.