Was geht durch den Klimawandel verloren? Phänomenologische Perspektiven auf Loss & Damage

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 7
Autor*innen
Maximilian Gregor Hepach (Universität Potsdam)
Friederike Hartz (University of Cambridge)
Kurz­be­schreib­ung
Wie lassen sich existentielle nicht-ökonomische Klimawandelverluste begreifen? Unser Vortrag entwickelt neue phänomenologische Ansätze zur Erforschung der Geographien des Verlusts.

Abstract

Unter den Schlagwörtern “loss & damage” (L&D) wird seit Anfang der 1990er Jahre eine hitzige Debatte über die Schäden und Verluste geführt, die durch den Klimawandel verursacht werden. Der Ursprung von L&D liegt in der politischen Forderung von Small Island Developing States (SIDS) während der Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention begründet, für die Verluste kompensiert zu werden, die sie durch den Meeresspiegelanstieg erleiden.

Seit der Einführung des Begriffs L&D ist ein Streit auf wissenschaftlicher und politischer Ebene darüber entbrannt, welche Verluste dem Klimawandel wie zugeschrieben werden können. Die politische Strittigkeit dieser Frage überrascht wenig, wenn man sich vor Augen führt, dass mit der Feststellung solcher Verlust die Frage einhergeht, wer für Klimawandelverluste verantwortlich ist und für die entstandenen Schäden aufkommen soll.

Auf wissenschaftlicher Ebene werfen Klimawandelverluste epistemologische und ontologische Fragen auf. Unter dem Schlagwort “economic losses” werden Verfahren entwickelt, um Verluste, die durch den Meeresspiegelanstieg entstehen, zu quantifizieren und ihnen einen monetären Wert zuweisen zu können. Unter dem Schlagwort “non-economic losses” werden hingegen all jene Klimawandelverluste versammelt, die nicht auf diese Weise quantifiziert werden können. Wie sollte auch der Verlust von territorialem Gebiet, kulturellem Erbe, indigenem Wissen und nicht zuletzt menschlichem Leben quantifiziert werden?

In unserem Vortrag wenden wir uns jenen sogenannten existentiellen, nicht-ökonomischen Verlusten zu, die am schwierigsten zu quantifizieren und zu greifen sind. Nach einer kurzen Vorstellung der “science of loss” in der jüngeren Forschungsliteratur stellen wir verschiedene phänomenologische Ansätze (Heidegger, Watsuji, Waldenfels) vor, mit deren Hilfe die Abwesenheiten begreiflich werden sollen, die durch den Klimawandel entstehen. Unsere Kernthese lautet: durch den Klimawandel gehen nicht primär Dinge verloren, sondern bestimmte Arten und Weisen, wie uns die Welt erschlossen ist. Die Phänomenologie verspricht insbesondere diese existentielle Dimension des Klimawandels deutlich zum Vorschein zu bringen.

Im Zuge der Anwendung phänomenologischer Theorie auf den Klimawandel stellen wir Phänomenologie als Methode geographischer Forschung vor, die in dieser Weise kaum Anwendung gefunden hat. Phänomenologie stellt eine Alternative zu positivistischen, subjektivistischen und (post‑)konstruktivistischen Ansätzen kulturgeographischer Forschung dar.

Diese Alternative ist in Anbetracht der Schwierigkeit effektiver Klimawandelkommunikation von besonderer Bedeutung. Wo szientistische Erklärungsmodelle uns mit der Tatsache der Unausweichlichkeit allein lassen, mit Kipppunkten im Klimasystem oder apokalyptischen Erderwärmungsszenarien, ermöglicht eine phänomenologische Betrachtungsweise des Klima(wandels) die Einbettung solchen Klimawissens in die alltägliche Lebenswelt.