„Was wollen wir eigentlich erreichen?“ Konzeptionelle Überlegungen zur Bestimmung relevanter Standorte in Analysen personenbezogener Erreichbarkeit

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 15
Autor*innen
David Hölzel (TU Dortmund)
Kurz­be­schreib­ung
Bei der Berechnung und Bewertung personenbezogener Erreichbarkeiten wird die Bedeutung von und der realisierte Zugang zu Orten kaum berücksichtigt. Der Vortrag diskutiert Vorschläge zur Weiterentwicklung und Ergänzung traditioneller Erreichbarkeitsanalysen bzgl. der Bestimmung relevanter Zielorte.

Abstract

Eine gute verkehrliche Erreichbarkeit räumlicher Angebotsstrukturen wird im Forschungs- und Planungskontext oftmals als Voraussetzung für Wohlfahrt und Lebensqualität verstanden. Menschen können ihre „Lebenschancen“ erst dann verwirklichen und ihren Alltag unkompliziert gestalten, wenn sie die Möglichkeit zum Zugriff auf (oftmals räumlich gebundene) Ressourcen in Anspruch nehmen (können).

Formalisierte, modellbasierte Erreichbarkeitsanalysen stehen grundsätzlich im Spannungsverhältnis zu ausdifferenzierten Lebensstilen und Raumnutzungsmustern im Alltag der Bevölkerung. Während die Wahrnehmung, Bewertung und Auswahl von Aktivitätszielen individuell variiert, streben quantitativ orientierte Erreichbarkeitsanalysen i. d. R. größtmögliche Objektivität, Vollständigkeit und Vergleichbarkeit bezüglich des Zielkanons an. Derartige Analysen laufen somit Gefahr, sich den Bedürfnissen des individuellen Lebensalltags nicht angemessen zu nähern, weil sie etwa persönliche Präferenzen zu Zielen oder den Wettbewerb zwischen bzw. die Auslastung von Einrichtungen begrenzt oder gar nicht berücksichtigen.

Mit „activity-based models“ (oft kombiniert mit Discrete Choice Modelling) liegt zwar bereits ein Ansatz zur verstärkten Berücksichtigung der individuellen Komponente von Erreichbarkeit vor, doch gelten sie bislang als nicht hinreichend etabliert. Dementsprechend verwundert es kaum, dass „die“ (eher technokratisch geprägte) Planungspraxis häufig Erreichbarkeitsanalysen durchführt, ohne die Bedeutung individueller Bedürfnisse und Hindernisse zum Zugang zu eruieren. Die Gründe hierfür sind vielfältig und liegen unter anderem in politischen Rahmenbedingungen (Indikatorenorientierung) sowie forschungspraktischen Umständen (Messbarkeit).

Im Sinne einer „derived demand“-Perspektive argumentieren wir jedoch, dass die individuelle Bedeutung von und der realisierte Zugang zu Orten bei der Berechnung und Bewertung personenbezogener Erreichbarkeiten stärker in den Fokus gerückt werden müsste. Von zentralem Interesse ist hierbei, welche Bedeutung Orte für Mobilitätsentscheidungen haben und welche Wirkung sich aus ihrer Nutzung bzw. ihrer Nicht-Nutzbarkeit für die Entwicklung individueller Lebensverläufe ergibt. Derartige Überlegungen sind zentral für die Auffassung von Erreichbarkeit als Voraussetzung für Versorgung, Teilhabe und Lebensqualität sowie eine erhöhte Effizienz planerischer Maßnahmen.

Dementsprechend diskutiert dieser konzeptionelle Vortrag Vorschläge zur Weiterentwicklung und Ergänzung traditioneller Erreichbarkeitsanalysen hinsichtlich der Bestimmung relevanter Zielorte. Unter einer Vielfalt verfügbarer Optionen stellen einzelne Aktivitätsorte nur dann eine Opportunität dar, wenn sie mit den persönlichen Motiven ihrer Nutzer korrespondieren. Deswegen sollten Erreichbarkeitsanalysen individuelle Bedürfnisse bestmöglich adressieren und normative Setzungen bei der Bestimmung eines Zielkanons vermeiden oder zumindest offenlegen und mit den Betroffenen erörtern.