Wie das 9-Euro-Ticket die Mobilitätspraktiken von Haushalten mit Kindern im Armutskontext veränderte

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 2.101
Autor*innen
Caroline Rozynek (Goethe-Universität Frankfurt)
Kurz­be­schreib­ung
Das 9-Euro-Ticket war eine wirkungsvolle Maßnahme, um Haushalten mit Kindern in finanzieller Armut die Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen und somit ihre soziale Teilhabe zu stärken.

Abstract

Mobilität ist eine wesentliche Voraussetzung für soziale Teilhabe. Da die Nutzung von Verkehrsmitteln jedoch stets mit Kosten verbunden ist, haben Menschen mit geringem Einkommen, selbst bei einer relativ guten Verkehrsinfrastruktur, ein erhöhtes Risiko von mobilitätsbezogener sozialer Exklusion betroffen zu sein. In der Europäischen Union zählen Haushalte mit Kindern zu den Personengruppen, die ein erhöhtes Risiko haben von finanzieller Armut betroffen zu sein.

Von Juni bis August 2022 ist in Deutschland die finanzielle Barriere für die Nutzung des ÖPNV durch das 9-Euro-Ticket fast vollständig verschwunden. Mit diesem Ticket konnte jede Person (mit Zugang zum ÖPNV-System) in ganz Deutschland den Nah- und Regionalverkehr für 9 Euro pro Person und Monat nutzen. Das Besondere an dem 9-Euro-Ticket war, dass es für alle Menschen gleich viel kostete und es nicht an ein Abonnement oder an Tarifzonen gebunden war. Insgesamt wurden 52 Millionen 9-Euro-Tickets verkauft.

Da die Finanzierung der ÖPNV Nutzung für Menschen mit geringem Einkommen eine Herausforderung darstellt und das 9-Euro-Ticket die Bedingungen für die ÖPNV Nutzung komplett veränderte, ergaben sich folgende Forschungsfragen: Welche Auswirkungen hatte das 9-Euro-Ticket auf die Mobilitätspraktiken und die soziale Teilhabe von einkommensschwachen Haushalten mit Kindern und wie wirkte sich das Auslaufen der Maßnahme auf ihre Mobilität und soziale Teilhabe aus? Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden im Kontext des vom BMBF geförderten Projekts Social2Mobility II zwölf qualitative Interviews mit einkommensschwachen Haushalten mit Kindern in der Region Hannover geführt.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Finanzierung regulärer Ticketpreise eine Mobilitätsbarriere für Haushalte mit Kindern, die von finanzieller Armut betroffen oder bedroht sind, darstellt. Das 9-Euro-Ticket ermöglichte es den Befragten Familienangehörige und Freund:innen (auch an weiter entfernten Orten) zu besuchen sowie Freizeitfahrten zu tätigen, die sonst nicht finanzierbar waren. Die Interviewten berichten von Freiheit, finanzieller sowie psychischer Entlastung und der Möglichkeit den Kindern etwas bieten zu können. Darüber hinaus förderte das 9-Euro-Ticket die Integration, die Unabhängigkeit von Frauen in Partnerschaften und die Mobilität von Kindern.

Die erhöhte Nutzung des ÖPNV mit dem 9-Euro-Ticket und eine wieder eingeschränkte ohne das 9-Euro-Ticket (ab September 2022) belegen, dass es eine in finanzieller Armut begründete, unterdrückte Nachfrage nach Mobilität mit dem ÖPNV gibt. In meinem Vortrag möchte ich auf Basis meiner Ergebnisse aufzeigen, dass ein geringer Ticketpreis eine wirkungsvolle Maßnahme ist, um Menschen in finanzieller Armut die Nutzung des ÖPNV zu ermöglichen und somit ihre soziale Teilhabe zu stärken.