Wohnräume und Wohnpraktiken von Frauen mit einer sogenannten geistigen Behinderung
Abstract
Seitdem Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) 2009 ratifizierte, diffundiert der Inklusionsbegriff in die Gesellschaft. Auch wenn Gebrauch und Verständnis des Begriffs häufig unklar sind und sich verschiedene Definition dahinter sammeln, hat er doch dazu geführt, dass die Lebenswelt von Menschen mit Behinderung mehr Aufmerksamkeit erhält. Hinsichtlich des Wohnens haben die UN-BRK und das Thema Inklusion zu einer beschleunigten Deinstitutionalisierung geführt, innerhalb derer große Wohnanstalten aufgelöst oder in Anlagen mit kleinteiligen Einheiten umgestaltet wurden und werden. Hin und wieder kommt es auch zur Auflösung ganzer Einrichtungen oder einzelner Abteilungen. Im Vordergrund stehen überwiegend strukturelle Prozesse im Sinne einer Senkung des Institutionalisierungsgrades, etwa durch die Verringerung von Platzzahlen. Kaum rücken die Bewohnenden selbst in den Fokus, noch seltener liegt der Blick explizit auf Frauen, ihren Wünschen und Bedürfnissen. Obwohl Artikel 19 der UN-BRK anführt „Menschen mit Behinderung müssen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben. Sie dürfen nicht auf eine besondere Wohnform verpflichtet sein“, gibt es gerade im Kontext von Personen mit einer starken Intelligenzminderung häufig kaum Alternativen zu stationären Wohnangeboten. Forschungsarbeiten zu wohnbezogenen Einstellungen und Meinungen von Bewohnerinnen mit einer sogenannten geistigen Behinderung gibt es fast nicht. Hypothetisch wird angenommen, dass sich das Wohnen von Frauen mit einer sogenannten geistigen Behinderung von Frauen ohne Behinderung in verschiedenen Alltagsdimensionen jedoch deutlich unterscheidet.
Diesem Desiderat soll sich der Vortrag widmen, der den folgenden Fragestellungen aus einer sozialräumlichen und aneignungstheoretischen Perspektive nachgeht: Wie nehmen Frauen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Wohnumgebung wahr? Welche Orte/Räume im Haus haben für sie besondere Bedeutung? Welche spezifischen Anordnungen werden sichtbar? Wo werden über das Wohnsetting Tendenzen erkennbar, die Partizipation und Selbstermächtigung auch in Bezug auf ihre Rolle als Frau erkennbar machen? Die Daten stammen aus zwei Forschungsvorhaben. In einem Projekt wurde das Wohnen von Personen mit vorrangig intellektueller, aber auch körperlicher und psychischer Beeinträchtigung in gemeinschaftlichen Wohnanlagen betrachtet (bislang unter dem Sammelbegriff „stationäre Einrichtung“ bekannt). Im anderen Vorhaben waren diverse Wohnsettings von erwachsenen Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung im Fokus.