Zwischen Klimaschutz und Greenwashing: Wasserstoff als Mittel zur Inwertsetzung industrieller CO2-Emissionen
Abstract
Die Transformation globaler Produktionsnetzwerke (GPN) im Zuge von Klimaschutzmaßnahmen stellt eine bedeutende Forschungslücke dar. Dieser Forschungslücke widme ich mich, indem ich die Inwertsetzung von CO2-Emissionen als eine spezifische Transformationsstrategie untersuche, und zwar am Beispiel von Leitunternehmen der Zementindustrie, die planen aus Wasserstoff und Zementwerksemissionen synthetisches Kerosin herzustellen und zu vermarkten. Konkret gehe ich der Frage nach, wie und unter welchen Bedingungen Zementunternehmen ihre CO2-Emissionen mithilfe von Wasserstoff in Wert setzen können. Diese Inwertsetzung konzeptualisiere ich anhand regionaler Vermögenswerte (assets), der Materialität von Wasserstoff und Kohlenstoff, der branchenspezifischen Entwicklungsdauer technologischer Innovationen und der institutionellen Landschaft auf verschiedenen Maßstabsebenen. Diese Konzeptualisierung ermöglicht es mir, ein Verständnis für inter-industrielle, inter-regionale, industrie- und klimapolitischen Aushandlungsprozesse zu entwickeln, die die Transformation einzelner GPN im Zuge von Klimaschutzmaßnahmen bestimmen.
Mithilfe des konzeptionellen Ansatzes analysiere ich die Pläne und Aktivitäten dreier multinationaler Zementunternehmen, die mit ihren GPN die Produktion synthetischen Kerosins an drei Standorten in Deutschland planen. Empirisch beruht die Analyse auf der Auswertung von Websites und grauer Literatur, der Teilnahme an verschiedenen Veranstaltungen sowie 35 leitfadengestützten Interviews mit Stakeholdern der drei Produktionsnetzwerke. Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass die Luftfahrtwirtschaft bislang nicht auf kohlenstoffbasierte Antriebe verzichten kann und regulatorisch zur Nutzung wasserstoffbasierter Kraftstoffe verpflichtet ist. Deshalb ist sie in gewissem Maße zur Zahlung höherer Preise für synthetische Kraftstoffe gegenüber fossilen Kraftstoffen bereit. Die Wettbewerbsfähigkeit synthetischen Kerosins gegenüber fossilem Kerosin ist darüber hinaus von den Wasserstoffproduktionskosten abhängig, welche wiederum von den gesetzlichen Strombezugskriterien für die Wasserstoffproduktion geprägt werden. Insbesondere Akteure aus Süddeutschland, wo wenig erneuerbarer Strom verfügbar ist, setzen sich deshalb dafür ein, auch fossilen Strom zur Produktion von Wasserstoff für synthetische Kraftstoffe nutzen zu können. Trotz der dadurch schlechteren Treibhausgasbilanz soll dieser Wasserstoff und die damit produzierten Kraftstoffe als „klimaneutral“ deklariert werden. Dies geschieht im industriepolitischen Interesse der süddeutschen Landesregierungen, die damit – auch auf Kosten klimapolitischer Ziele – bestehende Raffineriestandorte erhalten und ansässigen Unternehmen die Möglichkeit eröffnen wollen, ihre Technologien vor Ort zu testen und weiterzuentwickeln.