Erinnerungspolitik im Bundestag: Aushandlungen von Nationalsozialismus, DDR und Kolonialismus am Beispiel des Humboldt-Forum

Fachsitzung
JKG
Workshop
Sitzungs-ID
JU-605
Termin
Mittwoch (20. September 2023), 16:30–18:00
Raum
SH 1.101
Sitzungsleitung
Aisha Salih (Goethe-Universität Frankfurt)
Kurz­be­schreib­ung
In diesem Workshop analysieren wir Bundestagsdebatten zum Humboldt-Forum aus erinnerungspolitischer und postkolonialer Perspektive und erarbeiten eine Kritik der Verallgemeinerung historischer Ereignisse sowie der Nationalisierung von Geschichte.

Abstract der Sitzung

Das Humboldt-Forum in Berlin hat seit seiner ersten Konzeption Anfang der 2000er Jahre bis zur Eröffnung 2021 wiederholt für hitzige öffentliche Debatten gesorgt. Zu Beginn wurde das Humboldt-Forum im Bundestag vor allem als städtebauliches Großprojekt verhandelt, welches die Spuren der DDR inmitten der prestigeträchtigen Museumsinsel verschwinden lassen sollte. Zugleich handelte es sich um einen Konflikt zwischen moderner Architektur und der Rekonstruktion barocker Elemente. Die in der Zwischenzeit stattfindende Aneignung des Areals in Berlin Mitte durch die Berliner*innen selbst wurde hierbei überwiegend als Störfaktor und Kontrollverlust im Bundestag diskutiert.

Die Konzeption des Humboldt-Forums, ein top-down Stadtentwicklungsprojekt par excellence, hat sich zunehmend verschoben in die Etablierung eines „Weltkulturenmuseums“. Dies machte das Humboldt-Forum über die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte hinaus zu einem zentralen erinnerungspolitischen Gegenstand der BRD. Somit vollzogen sich zwei weitere Verschiebungen des Diskurses im Bundestag: Eine Aktualisierung der Verhältnissetzung von DDR-Geschichte mit dem Nationalsozialismus und der Shoah einerseits und die Entstehung eines neuen Gegenstandes der Erinnerungspolitik, dem „deutschen“ Kolonialismus, andererseits.

In diesem Workshop wollen wir anhand des Humboldt-Forums herausfinden, wie solche diskursiven Verschiebungen analysiert werden können und was es bedeutet, wenn Diskurse sich in Gesetzen oder Architektur materialisieren. Hierzu analysieren wir Ausschnitte von Bundestagsprotokollen aus verschiedenen zeitlichen Phasen (2002-2020) der Debatte. Wie ging es los mit dem Humboldt Forum? Warum laufen hier verschiedene Stränge deutscher Erinnerungspolitik zusammen? Was bedeutet es, wenn serielle historische Ereignisse zu essentialisierten Gegenständen werden? Wie können Raumdeterminismus, Nationalismus oder Biologismen als diskursive Regelsysteme auftreten?

Dieser Workshop basiert auf meiner 2021 entstandenen Bachelorarbeit zur “Konstruktion nationaler Identität in der Erinnerungspolitik”, in welcher ich eine Diskursanalyse von Bundestagsprotokollen im Zeitraum 2002-2020 durchgeführt habe.