Stadtgeographie in Krisenzeiten: Alte epistemologische Debatten, neue Dringlichkeiten für bessere forschungspraktische Ideen

Panel
Sonderveranstaltung
Sitzungs-ID
SV-118
Termin
Donnerstag (21. September 2023), 09:00–10:30
Raum
HZ 7
Sitzungsleitung
Hanna Hilbrandt (Universität Zürich)
Julie Ren (Universität Zürich)
Schlag­wörter
Stadtgeographie, (Neue) Konzepte der Geographie, Geographien der Krise

Monika Streule (LSE)

Panelist

Nadine Appelhans (TU Berlin)

Panelist

Anke Schwarz (TU Dresden)

Panelist

Inken Carstensen-Egwuom (Europa-Universität Flensburg)

Panelist

Abstract

Aktuelle Krisen dominieren politische Debatten. Zudem verschieben sie die Möglichkeitsräume geographischer Forschungspraxis und globaler Theoriebildung. Zum einen bestimmen Gesundheitskrise, Wirtschafts- und Finanzkrise, Krieg, Energie- und Klimakrise gegenwärtig vermehrt die (stadt)geographische Forschungspraxis: Die schlechte Umweltbilanz von Forschungs(- und Konferenz)reisen macht Datenerhebung in entfernten Fallstädten mit ökologischen Nachhaltigkeitszielen weitgehend unvereinbar; Vielerorts behindern politische Krisen den Forschungszugang; Während Wirtschaftskrisen zur Streichung von Forschungsmitteln geführt haben, behindern repressive politische Regime und Interventionen in die Wissenschaftsfreiheit die Denkräume der stadtgeographischen Forschung. Zum anderen überlagern sich die Herausforderungen krisenhafter Zeiten mit epistemologischen Fragen nach globaler Theoriebildung: Seit Dekaden kritisieren Forscher*innen die eurozentrischen Prämissen dominanter Teile der Stadttheorie und fordert diese zu provinzialisieren; Gleichzeitig stellt sie Fragen nach einer global gerechten, dekolonialen und zeitgemäßen Wissenspraxis (Roy 2009, Schwarz & Streule 2019, Hilbrandt & Ren 2022). Dabei zeigt sich deutlich, dass die oben beschriebenen Krisenphänomene – etwa die Herausforderungen internationaler Forschungsreisen oder die Prekarität der Arbeitsbedingungen – seit jeher den Forschungsalltag vieler Wissenschaftler*innen weltweit prägen, globale Theoriebildung bedingen und in den geographischen Wissenskanon fest eingeschrieben sind. So prägt nicht nur die Abwesenheit von Forscher*innen weiter Teile der Welt an internationalen Konferenzen, sondern auch das Fehlen dieser Stimmen in internationalen Publikationen die gegenwärtige Wissensproduktion (Husseini de Araújo, 2018).

In der Überlagerung von globalen Krisen, deren forschungspraktischen Implikationen und neuen Horizonten der Theoriebildung ist ein Umdenken geographischer Wissenspraxis dringend: Das betrifft den Umgang mit Methoden (etwa durch technische Fortschritte in digitaler Forschung) und Theoriebildungen (etwa in der Frage danach welches Wissen als theoretisch gelesen wird oder in einer kritischen Auseinandersetzung mit in Theoriebildung eingeschriebene Machtverhältnissen), in der Veränderung kollaborativer Forschungsansätze (etwa dem Einbezug lokaler Forschungspartner*innen); oder in Innovationen in der Publikations­praxis (etwa in der Auswahl von Referenzen, in der Übersetzung von Wissen oder in Publikationsformaten). Dieses Panel diskutiert die Transformation stadtgeographischer Wissensbildung in Zeiten der Mehrfachkrise: Wie reagieren wir mit unserer Forschungspraxis auf Einschränkungen in der Datenerhebung? Wie können wir die gegenwärtige Mehrfachkrise mit epistemologischen Fragen zusammendenken? Und wie müssen wir Praxen der Theoriebildung und die Produktion bzw. den Umgang mit empirischen Daten umdenken?