Abgrenzung von Verflechtungsräumen ohne a priori definierte Zentren: Ein graphentheoretischer Ansatz nicht nur für Zentrale Orte
Abstract
Arbeitsmarktregionen, Planungsregionen, Mittelbereiche, Metropolräume – Funktionale Raumabgrenzungen auf überörtlicher Ebene bestehen viele. Häufig werden solche funktionalen Räume als Verflechtungsräume modelliert. Sie setzen das Vorhandensein eines Zentrums bzw. eines Regionskerns voraus und ordnen die weiteren Raumeinheiten diesen Kernen zu. Dabei ist es zunächst unerheblich, ob es sich bei den Raumeinheiten um politisch-administrative Einheiten wie Gemeinden oder Landkreise handelt oder um eher analytische Einheiten wie Rasterzellen. Die Zuordnung von Raumeinheiten zu den Kernen erfolgt dann etwa über Pendlerverflechtungen. Je nach Algorithmus müssen Schwellenwerte erreicht sein oder es entscheidet der „stärkste Strom“. Und in Abhängigkeit von den gesetzten Prämissen muss etwa eine vollständige Raumabdeckung erfolgen (keine „weißen Flecken“), ein Flickenteppich vermieden werden (räumliche Kontingenz) usw. Auch wenn solche Prämissen meist richtig und wichtig sind: Die zentrale Prämisse, also Zentren bzw. Kerne als Ausgangspunkt für die Abgrenzung zu nehmen, wird selten kritisch reflektiert. Wenn aber Zentralität als Eigenschaft von Zentren verstanden wird, als Knotenpunkt in einem Netzwerk, dann müssen Methoden zur Abgrenzung von Verflechtungsräumen die Bestimmung der Zentralität nicht voraussetzen (bzw. durch andere Methoden vorab ermitteln), sondern selbst zum Ergebnis haben – neben der Bestimmun des Verflechtungsbereichs.
Im Beitrag wird ein Verfahren zur Abgrenzung von Verflechtungsräumen mit integrierter Ableitung der Zentren bzw. Kerne vorgestellt, der gravitations- und graphentheoretische Ansätze kombiniert. Es wird gezeigt, dass zahlreiche normative Erwägungen wie die o. g. Prämissen gleichwohl berücksichtigt werden können – aber eben nicht als Voraussetzung. Im Verständnis der Raumordnung geht es dann um das Definieren von Regel-Ausnahme-Verhältnisse und das Anerkennen von atypischen Einzelfällen. Ausnahmen und Einzelfälle werden erst durch die voraussetzungsarme Abgrenzungsmethodik manifest. Damit ist auch eine raumstrukturell differenzierte Betrachtung möglich, die dem Gleichheitsgebot Rechnung trägt und etwa ungleiche Städte und Gemeinden auch ungleich behandelt.
Der methodische Ansatz wurde im Rahmen der Dissertation erarbeitet und in verschiedenen Forschungsprojekten und Gutachten weiterentwickelt.