Alltag im ungelösten Konflikt: Leben in Transnistrien
Abstract
Anhand von Beobachtungen und biographischen Erzählungen aus meiner Feldforschung 2019 will ich zeigen, welche sozialräumlichen Strategien Menschen im Zwischenraum eines dauerhaft ungelösten Konflikts wählen und was dies für ein Verständnis des Daseins zwischen Krieg und Frieden beiträgt. Theoretisch knüpft diese Forschung an feministische Ansätze, ontologische Sicherheit und geosoziale Ansätze sowie Ansätze des Zwischenraums an, die traditionelle Blicke auf Konflikt, Sicherheit und Unsicherheit, Krieg und Frieden dezentrieren und die Verschränkung von Ebenen wie auch Handlungsmacht und –möglichkeit (agency) verschiedener Akteure einbeziehen.
Transnistrien ist ein de-facto Staat auf dem Territorium der Republik Moldau. Es hat sich nach einem gewaltsamen Konflikt 1992 im Zuge der Auflösung der Sowjetunion von der entstehenden Republik Moldau unabhängig erklärt. In der militärischen Auseinandersetzung, in der die separatistischen Kräfte von der in der Region stationierten 14. Armee der Sowjetunion unterstützt wurden, starben 585 Menschen (UCDP). Seit dem Waffenstillstand von 1992 finden Verhandlungen in unterschiedlichen Formaten statt. Der Konflikt ist jedoch bis heute ungelöst. Transnistrien wird von keinem Staat der Welt anerkannt, was zu einer Reihe von Herausforderungen für die ca. 400.000 dort lebenden Menschen führt.
In meiner Feldforschung 2019 habe ich mich mit dem Alltag der Menschen im Rahmen des ungelösten Konflikts und der internationalen Nichtanerkennung beschäftigt. Die Menschen befinden sich in unterschiedlicher Perspektive in einem Zwischenraum. Der Zwischenraum entsteht im Umgang mit dem ungelösten Konflikt und wird in sozialen, ökonomischen und politischen Strategien unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen hergestellt. Politische Eliten erhalten den Status-quo aufrecht und nutzen ihn für eigene ökonomische Interessen. Der Fokus meiner Forschung liegt auf den sozialen, ökonomischen und politischen Strategien der Menschen in der Region und wie sie ca. 30 Jahre nach der Abspaltung ihren Alltag strukturieren und sich positionieren. Im Vortrag will ich auf Dynamiken der Integration und Fragmentierung zwischen Transnistrien und Moldau sowie auch innerhalb Transnistriens eingehen.
Die von mir gewählten Untersuchungsorte repräsentieren Mikrogeographien und Facetten des Alltags im ungelösten Konflikt. So ist der ländliche Untersuchungsort u.a. vom Trauma erfahrener Gewalt und von Tod im militärischen Konflikt von 1992 geprägt sowie durch soziale und ökonomische Multipositionierungen. Der städtische Untersuchungsort repräsentiert u.a. eine geschlossene soziale Gemeinschaft, die durch starke Kontrolle und Überwachung sowie eingeschränkte Mobilität gekennzeichnet ist.