August in Gökçeada: Heimkehr von der imbrischen Diaspora-Gemeinschaft

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 1.104
Autor*innen
Aysegül Dinccag Kahveci (TU Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag befasst sich mit dem Phänomen der Heimkehr der Diaspora-Gemeinschaft als Erbe-Gesellschaft und ihren nachgeholten Verlusterfahrung und welche Rolle deren Verlusterfahrung für die Zugehörigkeit der Gruppe spielt.
Schlag­wörter
Diaspora-Gemeinde, Imbros, Verlusterfahren, nachgeholtes Verlusterleben, Erbe-Gesellschaft

Abstract

In der nordöstlichen Ecke der Ägäis liegt die ehemalige griechische Insel Imbros (Gökçeada), die nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Vertrag von Lausanne als Teil des Staatsgebiets an die Republik Türkei übereignet wurde. Bis in die 1960er Jahre schilderten die imbrische Erzählungen eine reibungslose Koexistenz zwischen den 8000 einheimischen Griechen und weniger als 99 Muslimen auf der Insel. Die Unruhen folgten erst mit dem Ausbruch von griechisch-türkischer Krise auf Zypern im Jahr 1963. Von 1964 bis 1974 führte der türkische Staat auf Imbros ein umfangreiches Umstrukturierungsprogramm, das auf die „Türkifizierung“ der Insel abzielte. Diskriminierende Maßnahmen begann mit der Deklaration der Insel als Militär Zone und folgten mit der Schließung der griechischen Schulen, der staatlichen Enteignung von 90 % des Ackerlands der Einheimischen, und Eröffnung eines halboffenen Gefängnisses, die für die Imbrische Gemeinschaft einen Wendepunkt bezeichnete. Die freie Einreise verurteilter Krimineller in die griechischen Dörfer führte zu Gewalttaten, die durch die ultranationalistische türkische Politik jener Zeit angeheizt wurden und die einheimischen Inselbewohner schließlich dazu zwangen, ihre Heimat zu verlassen und sich in eine transnationale Diaspora verwandelten. In den 1970er Jahren wurde der Name der Insel offiziell zu Gökçeada deklariert, und die griechischen Toponyme durch türkische ersetzt. Die Umsiedlungen der Hunderte von anatolischen Festlandbewohnern in die vom Staat errichteten Dörfern auf dem enteigneten Land der imbrischen Gemeinde führten zu einer drastischen Veränderung der demografischen Struktur von Imbros. Die Imvrii wurden zu einer Minderheitengruppe mit etwa 400 Menschen unter der Gesamtbevölkerung von etwa 8000 auf der Insel. Mit der neoliberalen Wende der Politik in der Türkei in den 1990er Jahren wurde der militärische Status der Insel aufgegeben wurde. Die Diaspora-Gemeinschaft von mehreren Generationen vertrauten sich zum ersten Mal, die Insel zu besuchen, wo sie sich mit der heutigen Realität des Ortes, nämlich Gökçeada, begegneten.

Der Beitrag befasst sich mit dem Phänomen der Heimkehr der Diaspora-Gemeinschaft als Erbe-Gesellschaft und ihrer nachgeholten Verlusterfahrung. Es wird auf die Deutungen und Bedeutungen der Verlusterfahrungen der imbrischen Gruppen in drei Kategorien eingegangen: erstens auf den Verlust des ländlichen Lebens im Zentrum, einer modernen städtischen Struktur auf der Insel. Der zweite Teil befasst sich mit dem tatsächlichen Verlust von Eigentum der Minderheiten, von Häusern oder Land, das vom Staat enteignet oder von Siedlergruppen besetzt wurde. In einem dritten Teil wird die kulturelle Aneignung, die touristische Vermarktung der imbrischen Vergangenheit durch die lokalen Gruppen und Unternehmen untersucht. Dabei soll erklärt werden, welche Rolle die Verlusterfahrung für die Zugehörigkeit der Gruppe spielt und wie sie innerhalb der Generationen genutzt, interpretiert und konstruiert wird.