Aushandlungen von Gender und Differenz durch junge Erwachsene in sozio-materiell-technologischen Räumen: Analyse von Erfahrungen sexualisierter, körperlicher und psychischer Gewalt aus subjektiv-empirischer Perspektive
Abstract
Ausgehend von Erkenntnissen der Digitalen Geographie, der Kinder- und Jugendgeographie, der Geographie der Differenz und der interdisziplinären Forschung zu Fragen der Identitätsaushandlung diskutieren wir, wie sich Aushandlungen von Gender und Differenz durch junge Erwachsene und die damit verbundenen Erfahrungen unterschiedlicher Formen von Gewalt in miteinander verwobenen Online- und Offline-Räumen entfalten. Wir analysieren die subjektiven und sehr intimen Erfahrungen der Forschungsteilnehmenden vor, während und nach ihrem Schulabschluss in Städten in peripheren und ländlichen Regionen in drei verschiedenen europäischen Ländern: Österreich, Deutschland und Spanien.
Entgegen der Dominanz quantitativer Forschung zu sexueller, körperlicher und psychischer Gewalt, einschließlich (Cyber‑)Mobbing, setzen wir auf einen qualitativen, jugendzentrierten und ethisch reflektierten Zugang, um die individuellen Erfahrungen junger Erwachsener zu verstehen. Die Analyse basiert auf 380 schriftlichen Erzählungen, 20 teilnarrativen Interviews und ersten Erkenntnissen aus einer Langzeitstudie mit 15 Mobile-Messenger-Dossiers (MMDs), die bis Januar 2024 andauern wird. Die MMD-Methode wurde vom beYOND-Team entwickelt und zeichnet sich durch einen experimentellen Charakter aus. Über die vertieften Reflexionen in den Narrativen und Interviews hinausgehend, erlaubt die Methode den Teilnehmenden, multimediale Inhalte (Audionachrichten, Videos, Screenshots, GIFs…) über ihre Erfahrungen und Praktiken mit den Forschenden in-situ, während sie sich in Raum und Zeit entfalten, auszutauschen. Um ein besseres Verständnis der alltäglichen, dynamischen, sich ständig verändernden und fließenden Identitätsaushandlungen in verschränkten Online-Offline-Räumen zu erlangen, werden die in eigenen Worten geschilderten Erfahrungen mittels einer intersektionalen Perspektive analysiert und vor dem Hintergrund soziohistorischer und struktureller Ungleichheiten kontextualisiert. Erste Analyseergebnisse verdeutlichen, wie in verschränkten Räumen zugrundeliegende Diskurse, in denen geschlechtsspezifische und normative männliche, weibliche und heteronormative Identitäten konstruiert und (re‑)produziert werden, bis hin zu Gewaltpraktiken eskalieren. Unser Beitrag besteht in einem kritischen Blick auf die alltägliche Normalisierung von (sexualisierter, körperlicher und psychischer) Gewalt, der junge Erwachsene in unterschiedlichem Ausmaß ausgesetzt sind.