Das Ende des Wachstum und die Angst vor dem Abstieg: Über die Notwendigkeit neuer Narrative für die Mittelschichten
Abstract
Der Gedanke unbegrenzten Wachstums ist in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in Frage gestellt worden, von ersten Diskussionen über die Grenzen des Wachstums in den 1980er Jahren bis hin zur Ausweitung der Degrowth-Bewegung. Ungeachtet dessen ist Wachstum, oft verkürzt verstanden als eine Steigerung des Bruttoinlandsproduktes, weiterhin ein zentrales Element aller westlichen Ökonomien. Während in den letzten Jahren zumindest auf theoretischer Ebene eine lebhafte Diskussion entstanden ist über alternative Konzepte der Wohlstandsbewertung, sind die zeitlichen Bezüge eines solches Wandels auf der individueller oder innerfamiliärer Ebene bisher selten diskutiert worden. Soziolog:innen diskutieren seit den 2000er Jahren über eine Erodierung der Mittelschicht und deren mögliche Folgen, wie Abstiegsängste, Leistungsdruck und möglichen politischen Folgen, wie dem Erstarken (rechts)populistischer Bewegungen; in der geographischen Forschung spielen ähnliche Themen in einer räumlichen Perspektive etwa eine Rolle bei der Deindustrialisierung oder dem wirtschaftlichen Niedergang bestimmter Regionen. Diese Diagnosen sind bisher jedoch wenig zusammengebracht worden mit den konstatierten Notwendigkeit eines Endes des Wachstums. Die Idee, das es der nachfolgenden Generation besser gehen soll als der vorherigen, ist ein Kernelement des Selbstverständnisses westlicher Mittelschichten; die Erkenntnis, dass diesem nicht so sein muss, und eigentlich nicht einmal sein darf, greift dieses in seinem Zentrum an. Indem ich die Debatten und alternativen Formen von Wohlstand und kritische Diskussionen von Wachstum mit soziologsichen Krisendiskursen zusammenbringen, möchte diesem Beitrag möchte ich die Herausforderungen skizzieren, vor denen die die Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft in diesem Bereich steht – welche biographischen oder generationenbezogenen Verwerfungen bringen aktuelle Debatten um eine Ende des Wachstums in seinem bisherigen Sinn mit sich? Wie kommen sie zusammen mit Definitionen eines „guten“ oder „gelungenen Lebens“, von „Erfolg“ oder „Scheitern“? Welche möglichen Wirkungen können alternative Konzepte von Wohlstand auf die skizzierten Krisenempfindungen, und wie kann mit den Konflikten zwischen der Notwendigkeit der Verringerung materiellen ‚Wohlstandes‘ und bestimmten Narrativen von sozialen Aufstieg umgegangen werden?