Wachstum und Wohlstand in einer nachhaltigen Ökonomie: Dilemmata und Perspektiven/Perspektivwechsel aus geographischer Sicht
Abstract der Sitzung
Die aktuellen sozialen und ökologischen Herausforderungen stellen mehrere gesellschaftlich und politisch fest verankerte Sichtweisen auf Wohlstand in Frage. Allem voran werfen die Energiekrise und die Folgen des Angriffskriegs auf die Ukraine in der öffentlichen Debatte vermehrt die Frage auf, inwiefern sich das gesellschaftliche Wohlstandsniveau in Europa in Zukunft aufrechterhalten lässt. Zugleich festigt sich jedoch unser Bewusstsein dafür, dass westliche Lebensstile und Konsummuster häufig zu Lasten anderer Weltregionen gehen. Auch wird zunehmend deutlich, dass volkswirtschaftliche Kennzahlen wie das Bruttoinlandsprodukt und dessen Wachstumsraten unzureichend sind um die Vielschichtigkeit von Wohlstand, aber auch den zunehmenden Ressourcenverbrauch zu erfassen.
Die angesprochenen Aspekte sind eng miteinander verknüpft. Das Verständnis, was Wohlstand ist und insbesondere wie dieser gemessen wird, wirkt sich auch auf dessen (wahrgenommene) Entwicklung aus. Das globale Bruttoinlandsprodukt steigt seit Jahrzehnten beständig und suggeriert damit ein noch nie dagewesenes Maß an menschlichem Wohlstand. Gleichzeitig zeichnen jedoch viele soziale und ökologische Indikatoren ein weniger optimistisches, wenn nicht sogar alarmierendes Bild: auf globaler Ebene hat sich der Verbrauch von Ressourcen und Energie – vor allem durch wohlhabende Bevölkerungsgruppen angetrieben – weit über ein nachhaltiges Maß hinausbewegt. Auch soziale Indikatoren haben sich vielfach negativ entwickelt, allem voran die Zunahme von Ungleichheiten. Diese zunehmende Divergenz zwischen sozialen und ökologischen Zielen einerseits und auf die Maximierung der Wirtschaftsleistung ausgerichteter Vorstellungen und Praktiken andererseits deutet auf die fatalen Folgen eines vereinfachten Wohlstandsbegriffs hin. Gleichzeitig lässt sich konstatieren, dass das Bild einer linearen Entwicklung hin zu größerem Wohlstand Risse bekommen hat.
In dieser Sitzung möchten wir uns mit dem Spannungsfeld zwischen den multiplen aktuellen Krisen und gängigen und weniger gängigen Verständnissen und Praktiken von und in Bezug auf Wohlstand auseinandersetzen. Mögliche Fragen dabei sind:
- Welche alternativen Verständnisse und Konzeptionen von Wohlstand finden im Kontext der deutlich werdenden Grenzen klassischer Wohlstandskonzepte aktuell Verwendung (z.B. Gemeinwohlökonomie, Community Wealth Building, Well-being Economy, sustainable welfare etc.)? Wie verhalten sich unterschiedliche Ansätze und Konzepte zueinander? Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wo die Grenzen?
- Wo und wie werden alternative Formen von Wohlstand umgesetzt? In welchen räumlichen Kontexten?
- Welche Auswirkungen haben die aktuellen Krisen (z.B. Energiekrise, Klimakrise) im Kontext einer Debatte um Wachstum und Wohlstand? Welche Gefahren ergeben sich, welche Chancen?
- Welche Rolle spielen Debatten von Wohlstandsverlusten für die Transformationsforschung?
unterstützt von der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft