Das KRITIS-Dachgesetz: Gut überlegte Lösung oder reaktive Symbolpolitik?

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 0.107
Autor*innen
Eva Platzer (TU Darmstadt)
Kurz­be­schreib­ung
In Deutschland dominierte bisher die freiwillige Implementation den Schutz Kritischer Infrastrukturen. Das geplante KRITIS-Dachgesetz soll die Steuerungsfähigkeit des Staates verbessern, aber es bleibt die Frage, ob es die aktuellen Probleme lösen kann oder einer reaktiven Symbolpolitik entspricht.

Abstract

In der Sicherheitspolitik war in den letzten Jahrzehnten das Vorsorgeprinzip leitend (Bartl 2016, Wiater 2013). Im Zentrum stand der Versuch, frühzeitiger Ereignisse zu antizipieren und Risiken zu bewerten (Beck 2016). Die „Nationale Strategie zum Schutz Kritischer Infrastrukturen“ (BMI 2009) ist Sinnbild für eine Politik, die genau diesem Prinzip seit 2009 folgte. Relevante Einrichtungen für die Versorgung und Sicherheit der Gesellschaft sollten vor potenziellen Gefahren vorsorglich abgesichert und geschützt werden. Basierend auf Kooperationen zwischen Staat und Wirtschaft sowie freiwilligen Sicherheitsmaßnahmen auf Seiten der Betreiber war das Ziel mögliche Risiken erkennen und Resilienz geschaffen werden. 2022 wurde eine elementare Veränderung der Politik angestoßen: Diese nicht-bindenden „soft policy“ zum Schutz Kritischer Infrastrukturen soll durch ein Gesetz abgelöst werden.

Das KRITIS-Dachgesetz spiegelt ein Umdenken dar. Es soll bisherige Lücken beim Infrastrukturschutz schließen und die Steuerungsfähigkeit des Staates in einer ungewissen Zukunft zu verbessern. Bisher sind die Dokumente der Politik zum Schutz Kritischer Infrastrukturen als eine vorsorgliche Maßnahme, die auf eine optimistische und hypothetische Lagebewältigung vorbereitet. Diese Zukunftserwartung offenbarte jedoch im Anblick jüngster Geschehnisse ihre Unvollkommenheit. Die COVID-19-Pandemie, aber auch die Anschläge auf Infrastrukturen der Deutschen Bahn und auf die Pipeline North Stream 2 zeigten aus Sicht der Behörden auf, dass die bisherigen vorsorglichen und freiwilligen Maßnahmen zum Schutz der Infrastrukturen nicht ausreichen.

Der vorgeschlagene Vortrag zeichnet am Beispiel der Policy zum Schutz Kritischer Infrastrukturen in Deutschland nach, wie die langfristige Zielverfolgung der Resilienzsteigerung durch freiwillige Maßnahmen nun durch die bevorstehende Verabschiedung eines KRITIS-Dachgesetzes verändert wird. Der Vortrag gibt einen empirischen Einblick in die Governance zum Schutz Kritischer Infrastrukturen in Deutschland und ihre Veränderungen in Angesicht aktueller Bedrohungslagen wie der Covid-19 Pandemie und verschiedenen Sabotageakten. Er stellt dabei die Frage, ob die Veränderungen der Policy, die durch freiwillige Kooperation geprägt ist hin zu einem Gesetz die aktuellen (strukturelle) Probleme beim Schutz Kritischer Infrastrukturen lösen kann. Oder ob sie vielmehr einer reaktiven Symbolpolitik entspricht, mit dem Ziel Handlungsmacht zu demonstrieren, ohne jedoch die Herausforderungen beim Schutz Kritischer Infrastrukturen in Deutschland lösen zu können.