Das Rote Hochhaus: Spekulationen im Zentrum

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 2.109
Autor*innen
Ruth Schlögl (Frankfurt University of Applied Sciences)
Natalie Heger (Frankfurt University of Applied Sciences)
Kurz­be­schreib­ung
Die zentrale Ladenzeile einer Siedlung ermöglicht den Bewohner*innen die Versorgung mit Gütern des täglichen Lebens vor der eigenen Haustüre, sie ermöglicht Begegnungen und stiftet Identität. Doch was bedeutet es für die die Bewohner*innen einer Großwohnsiedlung, wenn ihre lebendige Mitte langsam, aber stetig dem Verfall preisgegeben wird? Wenn Eigentümer*innen zu anonymen Adressen werden und statt Leben Leerstand vorherrscht?
Schlag­wörter
Wohnungsforschung, Großwohnsiedlung, Immobilienspekulation, Lebensqualität

Abstract

Wer die Siedlung Schelmengraben kennt, kennt auch das Rote Hochhaus, das weithin sichtbare Quartierszentrum, ein Gebäudekomplex aus Ladenzeile und Wohnhochhaus. Dieser zentrale Ort der Siedlung aus den 1960er-Jahren hat nach dem Verkauf durch die Wohnungsgesellschaft GWH mehrmals die Eigentümer*innen gewechselt und seither mit Leerstand, Vandalismus und Gebäudeschäden zu kämpfen. Was bedeutet es für die Bewohner*innen einer Großwohnsiedlung, wenn ihre lebendige Mitte langsam, aber stetig dem Verfall preisgegeben wird?

Die Siedlung Schelmengraben wurde 1961 – 1971 von Ernst May (1886–1970), dem damaligen Planungsbeauftragter der Stadt Wiesbaden, für Neue Heimat Südwest, Neue Heimat Hessen und Volksfürsorge, geplant. Heute ist der Großteil der etwa 2.500 Wohneinheiten im Besitz der GWH Wohnungsgesellschaft. In der Mitte der Siedlung befindet sich das kommerzielle Zentrum der Siedlung, das von einem Wohnhochhaus, dem „Roten Hochhaus“ markiert ist und mit seiner weinroten Verkleidung aus Faserzementplatten und abgerundeten Eckelementen architektonisch hervorgehoben wird. Diese zentrale Ladenzeile, in der sich vor einigen Jahren noch unterschiedliche Angebote des täglichen Lebens aneinanderreihten, von der Apotheke, zur Post bis hin zur Nahversorgung und Restaurants, steht – nach dem Verkauf an GbR Minai-Azari, Lipinski, Ehrlich Objekte Wiesbaden 2013, dem Weiterverkauf an H. Main 4 S.a.R.L. (einem Teil des Konzern Round Hill Capital) – heute in großen Teilen leer. Der/die neuen Besitzer*innen waren für die Mieter*innen nicht ansprechbar, Gebäudemängel wurden nicht behoben, die Miete zeitgleich weiter erhöht und Vandalismus und Verfall nahmen im Herzen der Siedlung Schelmengraben – einem wichtigen Treffpunkt und Versorgungspunkt für die Anwohner*innen – ihren Lauf. Zuletzt ist auch das Quartiersbüro aus der Ladenzeile ausgezogen und hat im Stadtteilzentrum neue – trockene – Räume erhalten.

Der Beitrag „Das Rote Hochhaus: Spekulationen im Zentrum“ beschäftigt sich mit der Geschichte von Verkauf, Weiterverkauf, Vernachlässigung und Identitätsverlust einer Quartiersmitte und stellt dieser die Stimmen betroffener Nutzer*innen gegenüber, nicht ohne am Ende zu fragen: Was können wir aus konkreten Fällen wie diesen für die Zukunft von Großwohnsiedlungen lernen?

Die Recherche rund um das Rote Hochhaus in der Siedlung Schelmengraben in Wiesbaden entsteht im Rahmen des Forschungsprojektes „Lebensqualität in Großwohnsiedlungen“ am Forschungslabor Nachkriegsmoderne der Frankfurt University of Applied Sciences, gefördert durch den Zukunftspreis des Großen Frankfurter Bogens 2022.