Designte Geographien? Perspektiven auf Gestaltung zwischen Kontrolle und (Selbst-)Ermächtigung
Abstract
In den letzten Jahrzenten hat sich verändert, was heute unter „Design“ verstanden und praktiziert wird. Dabei bedeuteut Design nicht mehr die ausschließliche Gestaltung von Objekten, sondern umfasst auch Prozesse gesellschaftlicher Organisation auf sämtlichen Maßstabsebenen. Diese sind zunehmend designgetrieben, d.h. sie werden aus einer Prozessperspektive heraus und unter Zuhilfenahme von Designmethod(ologi)en imaginiert, konzeptualisiert und praktisch vollzogen. Angesichts dominanter Krisennarrative, zunehmendem Handlungsdruck und Bewusstsein für die Komplexität von Problemen („wicked problems“) verspricht der Rückgriff auf Designmethod(ologi)en ein generalistisches Problemlösungshandeln, wie es z. B. durch Design-Thinking propagiert wird.
Design befindet sich dabei in einer paradoxen Situation. Während kritische Stimmen darauf hinweisen, dass die Einbettung von Design (Industrie-/Produktdesign) im Kapitalismus seinen Teil zur Hervorbringung einer krisenhaften Moderne beigetragen hat (Papanek 1985; Fry 1999), versucht sich Design gleichzeitig zu emanzipieren und wird anknüpfend an aktuelle gesellschaftstheoretische Debatten als Wegbereiterin für postmoderne Zukünfte in Anschlag gebracht, z. B. mit den Konzepten von „Ontological designing“ (Willis 2006) oder „Designs for the pluriverse“ (Escobar 2018).
Angesichts dieser „Stilisierung des Designs zu einer neuen Methode des ‚Weltgestaltens‘“ (Janda 2018, 18) zwingt sich eine kritische Auseinandersetzung mit Design förmlich auf. Diesem Unterfangen hinkt die geographische Forschung jedoch hinterher. Erst jüngst erkennen Geograph*innen die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit Design an (Grove et al. 2019). Empirische Arbeiten untersuchen bisher welchen Einfluss Designmethodologien auf Klimawandelanpassung in Städten haben und sehen im Zusammenhang mit Resilienz neue Formen von Governance entstehen (Grove et al. 2020; Cox et al. 2022; Collier u. Gruendel 2022).
Daran anknüpfend muss es einerseits Ziel kritischer humangeographischer Forschung sein, die vielschichtigen Implikationen designgetriebener Interventionen der Weltgestaltung zu hinterfragen. Andererseits, falls Latour Recht behält und Design als ein „Tracer“ verstanden werden kann, „dessen Ausbreitung beweisen könnte, wie sehr wir aufgehört haben zu glauben, dass wir modern gewesen sind“ (Latour 2009, 359), dann liegt es nahe diesem transformativen Moment besondere Beachtung zu schenken. Schließlich leben wir auch angesichts ungewisser Zukünfte in der „gleiche[n] materielle[n] Welt, aber sie muss nun neu gemacht, überarbeitet werden mit einer völlig anderen Vorstellung von dem, was es heißt, etwas zu machen“ (Latour 2009, 364). Vor diesem Hintergrund wagt der Beitrag einen Ausblick, inwieweit Bezüge zu Design und verwandten Debatten zur Erneuerung eines Innovationsbegriffs (Rickards et al. 2023) oder der Rolle des Experimentierens (Wakefield 2020), eine veränderte Sicht auf menschliches, (designendes?) Handeln im Anthropozän nahelegen.