Deutsche Wohnen & Co enteignen: Vergesellschaftung von Wohnraum als Mittel politischer Teilhabe

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 6
Autor*innen
Rabea Berfelde (Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Die Vergesellschaftung von Wohnraum ist mehr als bezahlbare Mieten: Durch Existenzsicherung und Demokratisierung liegt in ihr das Potenzial gesellschaftlicher und politischer Erneuerung.
Schlag­wörter
Vergesellschaftung, Wohnraum, Daseinsvorsorge, Demokratisierung

Abstract

Seit den 1990er Jahren und beschleunigt durch die globale Finanzmarktkrise 2007 sind Immobilien als Wertanlage zunehmend ins Visier großer Investmentfonds geraten. Diese Neuorientierung von Kapitalströmen schloss weltweit an die voranschreitende Privatisierung verschiedener Bereiche der Daseinsvorsorge an und fiel insbesondere in Deutschland mit dem Verkauf öffentlicher Wohnungsunternehmen zusammen, mit dem Kommunen wie Berlin, Dresden und Kiel sich zu entschulden versuchten. Die damit einsetzende Finanzialisierung des Wohnungsmarktes steht den Prinzipien der Daseinsvorsorge - Existenzsicherung, diskriminierungsarmer Zugang, Priorität flächendeckender Leistungserbringung vor Wirtschaftlichkeit - diametral entgegen. Konzerne wie Vonovia und die Deutsche Wohnen, die gezwungen sind, die Erwartung ihrer Aktionär*innen an jährlich steigende Dividenden zu bedienen und ihre Buchwerte für Kreditvergaben immer weiter in die Höhe zu schrauben, können ihr Geschäftsmodell nur durch Gewinnmaximierung aufrecht erhalten. Mietsteigerungen, ausbleibende Investitionen, Modernisierung statt Instandhaltung und Neuvermietung nach Verdrängung werden damit unvermeidbar.

Einen Ausstieg aus dieser Profitlogik bietet die Vergesellschaftung von Wohnraum. Die Überführung der Bestände von Vonovia und Co in Gemeineigentum fällt unter die Vergesellschaftung von Grund und Boden nach Artikel 15 des Grundgesetzes und ermöglicht es, bezahlbaren Wohnraum als Teil der Daseinsvorsorge dauerhaft sicherzustellen. Neben leistbaren Mieten ist Vergesellschaftung aber auch ein Mittel, um politische Teilhabe zu ermöglichen: durch ökonomische Sicherheit, Demokratisierung und Mitgestaltung des eigenen Lebensraums. In Abgrenzung zur Verstaatlichung meint Vergesellschaftung eine auf Mitbestimmung beruhende Form von Gemeineigentum. Im Falle von Wohnraum bedeutet Vergesellschaftung, dass dieser nicht mehr gewinnorientiert bewirtschaftet wird. Zugleich werden die Mieter*innen mit Hilfe einer demokratischen Unternehmensform direkt an der Bewirtschaftung und Gestaltung dieses Wohnraums beteiligt. Vergesellschaftung bietet damit Existenzsicherung und dauerhafte Daseinsvorsorge durch Gemeinwirtschaft und den Ausschluss von Reprivatisierung. Mehr noch zeigt sie jedoch, wie Wohnraum an den Bedürfnissen der Mieter*innen ausgerichtet und zu einem zentralen Instrument der Gestaltung von Stadt und der unmittelbaren Lebenswelt werden kann. Über die Existenzsicherung hinaus ist Vergesellschaftung damit ein Mittel, kollektive Wirksamkeit und Verantwortung zu erfahren und politische Teilhabe zu verwirklichen. Vergesellschaftung muss also auch als Prozess gesellschaftlicher Transformation betrachtet werden. Wie dies gelingen kann, wird anhand der Vorschläge der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ diskutiert.