Die Fragilität von Gewissheiten: Risikonarrative in globalen Produktionsnetzwerken – am Beispiel von deutsch-türkischen Investitionsentscheidungen
Abstract
Aktuelle gesellschaftspolitische Krisen, seien sie durch Pandemien, Kriege oder Klimaveränderungen ausgelöst, setzen vielfältige dynamische Prozesse in Gang. Diese Prozesse machen es in den meisten Fällen notwendig, dass Lieferketten und Produktionsnetzwerke reorganisiert und angepasst werden müssen. Damit einhergehende Risiken beeinflussen die Strategien und Entscheidungen unterschiedlicher Akteursgruppen.
Die Literatur zu globalen Produktionsnetzwerken bietet eine Heuristik, um diese Phänomene empirisch zu untersuchen. Ein rational-ökonomisches Risikoverständnis bildet den Ausgangspunkt der Risikobetrachtung innerhalb des GPN-Ansatzes. Nach diesem Verständnis werden die Handlungsoptionen von organisationalen Entscheidungsträger*innen, anders als bei Unsicherheiten, durch Wahrscheinlichkeitsverteilungen eingegrenzt. Dieses in der GPN-Debatte dominierende Verständnis lässt eine akteurszentrierte Auseinandersetzung mit dem Risikobegriff weitgehend unberührt. Eine solche Betrachtungsweise verspricht jedoch Einsichten, die über statistische Wahrscheinlichkeitsüberlegungen hinausgehen. Zugleich eröffnet sie u.a. Fragestellungen nach dem ‚Wie‘ und ‚Wo‘ der Entstehung von Risiken, die für Entscheidungsträger*innen handlungsanleitend und für Organisationen strategisch relevant werden.
Ziel des Vortrags ist es eine Diskussion über den etablierten Risikobegriff innerhalb der GPN-Debatte anzuregen. Ausgehend von einem relational-konstruktivistisch informierten Verständnis, wird die Idee von performativen Risikonarrativen als konzeptioneller Betrachtungszugang entwickelt. Diese Perspektive ermöglicht eine gezielte Bezugnahme auf Entscheidungskontexte sowie (inter‑)subjektive Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse von mehrfach sozial-räumlich eingebetteten Entscheidungsträger*innen. Zugleich bietet sie das Potential den Produktions- und Konstruktionscharakter von Risiken aufzudecken. Anhand von Investitionsentscheidungen transnational eingebetteter Manager*innen werden diese konzeptionellen Überlegungen an einem empirischen Fallbeispiel zu deutsch-türkischen Investitionsbeziehungen veranschaulicht.