Die gesellschaftlichen Wirkungen von Schuldendisziplin in räumlicher Perspektive
Abstract
Verschuldung ist eine wiederkehrende Strategie der Krisenbewältigung. Durch die Aufnahme von Krediten kaufen sich Staaten, Unternehmen und Haushalte wertvolle Zeit. Ihre Fähigkeit zur Neuverschuldung wird zu einem entscheidenden Faktor. Weil jedoch die Sorge groß ist, dass eine auf Kredit basierte Strategie der Krisenbewältigung wegen Überschuldung irgendwann einmal an ihre Grenzen stößt, verordnen sich Akteure Schuldendisziplin. Gesellschaftlich herausforderungsvoll ist – das haben Jüngste Krisenereignisse gezeigt – dass die Schuldenfähigkeit von Staaten mit der von Haushalten zusammenhängt. Am Beispiel der Neuverschuldung von kolumbianischen Familien im Zuge der Corona-Pandemie diskutiert der vorliegende Beitrag, wie je nach Ausgestaltung von Schuldbeziehungen in einem Land höchst unterschiedliche gesellschaftlichen Wirkungen einhergehen, und analysiert, welchen Einfluss insbesondere räumliche Nähe zwischen Kreditgebern und -nehmern auf Schuldendisziplin übt. Expertengespräche mit Gläubigern und Schuldnern machen deutlich, dass Schuldendisziplin nicht nur ein Merkmal von Finanzpolitik oder ein Ausdruck von Krisenstrategien ist, sondern als gestaltbarer Prozess verstanden werden muss. Durch die gegenüberstellende Analyse der Schuldbeziehungen auf stark deregulierten Märkten für Kreditkarten und unregulierten, informellen Märkten von ‚gota-a-gota‘, auf denen lokale Kredithaie das Sagen haben, deckt die Arbeit auf, wie wichtig Schuldentransparenz und Tilgungsdisziplin sind, um die Schuldenfähigkeit von Haushalten für zukünftige Krisen aufrechtzuhalten oder zurückzuerlangen. Beide Aspekte sollten auch in Debatten zur Schuldendisziplin öffentlicher Träger eine zentrale Rolle spielen.