Die Produktion eines "Schlachtfeldes": Materielle und narrative Transformationen gewaltüberformter Landschaften

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 1.104
Autor*innen
Christoph Rass (Universität Osnabrück)
Mirjam Adam (Universität Osnabrück)
Kurz­be­schreib­ung
Konfliktlandschaften entstehen als Erinnerungsorte in komplexen Transformationsprozessen, in denen diskursive bzw. performative Praktiken, Überreste und Spuren sowie nachträglich geschaffene materielle Zeichen in komplexe Beziehungen zu einander treten. Der Vortrag diskutiert ein analytisches Modell zur Untersuchung solcher Prozesse am Beispiel des "Schlachtfeldes Hürtgenwald".

Abstract

DIe Nordeifel wurde im Winter 1944/45 zum Schauplatz mehrmonatiger Gefechte zwischen der deutschen Wehrmacht und Verbänden der US-Army. Das Gefechtsfeld war eines von wenigen “Schlachtfeldern”, das nach Kriegsende auf westdeutschem Territorium lag und so zum Gegenstand erinnerungskultureller bzw. -politischer Prozesse mit ungewöhnlichen Konstellationen von Akteuren und Agency werden konnte. Rasch entstand das Narrativ einer “Schlacht im Hürtgenwald”, die als “Verdun der Eifel” beträchtliche Bedeutung in deutschen und us-amerikanischen Kriegserzählungen, vor allem aber auch als ein durch diese Linse gelesener Erinnerungsort erhalten sollte. Bis in die Gegenwart sorgt diese Bedeutungsproduktion mit ihren materiellen und narrativen Ebenen für kontroverse Diskussionen und vielschichtige Konflikte.

Der Beitrag diskutiert ein Modell der “conflict landscape studies”, das die fortwährende Transformation gewaltüberformter Orte auf der narrativen und der materiellen Ebene als einen Prozess wechselseitiger Strukturation (Giddens) begreift, in dem nicht nur Spuren und Überreste eines historischen Ereignisses eine Bühne für Wahrnehmungen oder Erzählungen bieten, sondern auch starke Narrative materielle Zurichtungen eines Ortes hervorbringen können.

Das empirische Material dazu bieten unsere Forschungen zum “Schlachtfeld Hürtgenwald”, die wir mit der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Konfliktlandschaften der Universität Osnabrück (kfl.uos.de) seit 2014 in unterschiedlichen Rahmungen durchführen.

Auf dieser Grundlage diskutiert der Beitrag unterschiedliche Transformationsprozesse, die seit Ende des Zweiten Weltkrieges zum Entstehen einer Erinnerungslandschaft geführt haben und zeigt das Ineinandergreifen raumbezogener und diskursiver Praktiken in ihren Bezügen zu materiellen Überresten einerseits, neuen materiellen Konfigurationen andererseits auf. Dabei geht es (1) um Wiederaufbau, Renaturierung sowie Einflüsse von Ausbau und Modernisierung von Bebauung und Infrastrukturen; (2) den Umgang mit Überresten der Kampfhandlungen, insb. mit obertägigen Bodendenkmälern bzw. Befunden; (3) einen Blick auf die Herstellung von Sicht- und Unsichtbarkeiten sowie daran geknüpfter Deutungen und ihrer nachträglich erzeugten Materialität, etwa durch Erinnerungszeichen; (4) Praktiken der diskursiven sowie performativen (Re)Produktion des so hergestellten “Schlachtfeldes”. Ausblickend verweist der Beitrag auf radikale Veränderungen dieser Landschaft in rezenten Prozessen der durch Umwelteinflüsse bedingten großflächigen Entwaldung sowie des Ausbaus von Windkraftanalgen, die deutlich machen, dass Transformationen einer Erinnerungslandschaft auch immer wieder durch Externalitäten radikal beeinflusst werden können.

Das im Ergebnis herausgearbeitet Modell wird schlaglichtartig auf andere von uns untersuchte Gewaltorte (“Emslandlager”, Vernichtungsorte Maly Trostenez) bezogen, um seine Übertragbarkeit zu prüfen.