Die Produktivität der Nekropolitik

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 11
Autor*innen
Timo Dorsch (Goethe-Universität Frankfurt)
Kurz­be­schreib­ung
In nekropolitischen Räumen Lateinamerikas ist eine ordnungsproduzierende Dynamik zu beobachten, die sich funktional in die globale marktwirtschaftliche Rationalität einfügt. Welche Folgen für das Subjekt und die Gesellschaft resultieren daraus?
Schlag­wörter
Nekropolitik, globale Gewalt, postkolonial, Lateinamerika

Abstract

Gleichsam mit der Vertiefung multipler planetarischer Krisen und einem damit einhergehenden Verwischen von Grenzziehungen der Moderne – zwischen Staat und Markt, Innenpolitik und Außenpolitik, Polizei und Militär, Legalität und Illegalität, Recht und Gewalt – vollzieht sich eine räumliche Fragmentierung der Welt in Zonen des Überflusses und Zonen der Überflüssigen, die entlang von unterschiedlichen Prinzipien und Logiken ordnungsproduzierender Herrschaft funktionieren. In postkolonialen Räumen stehen diese Zonen der Überflüssigen am Ende einer global agierenden Herrschaftslogik, die in das gesellschaftliche Gefüge eine Rationalität und eine Geographie der Nekropolitik einfügt.

Wenn wir zudem die globale Vergesellschaftung als ungleiches und dynamisches Verhältnis betrachten, werden wir auch in der Lage sein, den darin angesiedelten Widerspruch – die Realität der Nekropolitik unter der formalen Macht des Rechtsstaates und der kapitalistischen Logik – aufzulösen. Daraus ergeben sich folgende Fragen:

Der Panel-Beitrag versucht sich an der Beantwortung dieser Theorie geleiteten Fragen, um Aufschluss über ein empirisches Dilemma auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu geben: Obwohl Lateinamerika nur knapp 13 Prozent der Weltbevölkerung stellt, erfolgen dort ungefähr ein Drittel aller weltweit registrierten Morde – nebst unzähligen weiteren strukturelle auftretenden physischen Gewaltformen. Dabei folgt die Gewalt, ungleich zum 20. Jahrhundert, keinen politischen Vorzeichen mehr, sondern wird primär, direkt und indirekt, von einer ökonomischen Rationalität (in Verbindung mit z.B. patriarchalen und rassifizierenden Logiken) angetrieben. Die Gewalt unter der Nekropolitik schafft eine gesellschaftliche Teilordnung. Zeitgleich drückt sich die Nekropolitik nicht unter diktatorischen, gar faschistischen Verhältnissen aus, sondern ist eingebettet in funktionierende demokratische und marktwirtschaftliche Prozesse und Systeme. Mit dieser scheinbar widersprüchlichen Ausgangslage und ihre Implikationen wird sich der Panel-Beitrag beschäftigen.