Die Produktivität der Nekropolitik
Abstract
Gleichsam mit der Vertiefung multipler planetarischer Krisen und einem damit einhergehenden Verwischen von Grenzziehungen der Moderne – zwischen Staat und Markt, Innenpolitik und Außenpolitik, Polizei und Militär, Legalität und Illegalität, Recht und Gewalt – vollzieht sich eine räumliche Fragmentierung der Welt in Zonen des Überflusses und Zonen der Überflüssigen, die entlang von unterschiedlichen Prinzipien und Logiken ordnungsproduzierender Herrschaft funktionieren. In postkolonialen Räumen stehen diese Zonen der Überflüssigen am Ende einer global agierenden Herrschaftslogik, die in das gesellschaftliche Gefüge eine Rationalität und eine Geographie der Nekropolitik einfügt.
Wenn wir zudem die globale Vergesellschaftung als ungleiches und dynamisches Verhältnis betrachten, werden wir auch in der Lage sein, den darin angesiedelten Widerspruch – die Realität der Nekropolitik unter der formalen Macht des Rechtsstaates und der kapitalistischen Logik – aufzulösen. Daraus ergeben sich folgende Fragen:
- welche veränderte Rolle nimmt das überflüssige Subjekt in diesen Räumen ein?
- wie wirkt sich das Herrschaftsverhältnis auf den Prozess der Profitmaximierung aus und welche produktive Rolle nimmt dabei eine Form der Gewalt an, die primär auf das Töten von Subjekten aus ist?
- welche Dynamiken wird als Hintergrundbedingung für die Reproduktion des ökonomischen Kreislaufes in postkolonialen Räumen freigesetzt?
- wie gestaltet sich unter diesen Bedingungen der Mehrwertzuwachs sowie die gesellschaftliche Anordnung der Subjekte, die sich zwar lokal ausdrückt, von einer globalen Logik jedoch angetrieben wird?
Der Panel-Beitrag versucht sich an der Beantwortung dieser Theorie geleiteten Fragen, um Aufschluss über ein empirisches Dilemma auf dem lateinamerikanischen Kontinent zu geben: Obwohl Lateinamerika nur knapp 13 Prozent der Weltbevölkerung stellt, erfolgen dort ungefähr ein Drittel aller weltweit registrierten Morde – nebst unzähligen weiteren strukturelle auftretenden physischen Gewaltformen. Dabei folgt die Gewalt, ungleich zum 20. Jahrhundert, keinen politischen Vorzeichen mehr, sondern wird primär, direkt und indirekt, von einer ökonomischen Rationalität (in Verbindung mit z.B. patriarchalen und rassifizierenden Logiken) angetrieben. Die Gewalt unter der Nekropolitik schafft eine gesellschaftliche Teilordnung. Zeitgleich drückt sich die Nekropolitik nicht unter diktatorischen, gar faschistischen Verhältnissen aus, sondern ist eingebettet in funktionierende demokratische und marktwirtschaftliche Prozesse und Systeme. Mit dieser scheinbar widersprüchlichen Ausgangslage und ihre Implikationen wird sich der Panel-Beitrag beschäftigen.