„Die Sachen sind schon wichtig, aber sie sind eher ein Pflaster“: Über das Zuhausesein in Zeiten wiederkehrender Migration

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Anna-Lisa Müller (Universität Bielefeld)
Kurz­be­schreib­ung
In meinem Beitrag zeige ich, wie Menschen in Zeiten wiederkehrender Migration ein „Zuhause“ konstituieren und mit dem Wohnen vor Ort zwischen Mobilität und Ortsbindung balancieren. Der Fokus liegt auf Objekten und ihrer Bedeutung für die Herstellung eines Zuhauses an neuen Orten.
Schlag­wörter
Migration, Zuhause, Materialität, Ortsbindung, Sozialität

Abstract

Basierend auf Ergebnissen aus meiner empirischen Forschung zu hochmobilen hochqualifizierten Personen möchte ich mit meinem Beitragsvorschlag zeigen, auf welche Weise Menschen in Zeiten wiederkehrender Migration ein „Zuhause“ konstituieren und mit dem Wohnen vor Ort zwischen grenzüberschreitender Mobilität und Ortsbindung balancieren.

Studien zu migrantischen Gruppen wie expatriats (z.B. Boyle 2006; Walsh 2006), domestic workers (z.B. Yeoh und Soco 2014), Entsandten von Großunternehmen (z.B. Beaverstock 2005; Spiegel, Mense-Petermann, und Bredenkötter 2017) zeigen, dass Bindungen zu Orten in gruppenspezifischer Weise hergestellt werden, diese Bindungen aber für alle sehr bedeutsam sind. Diesen Forschungsergebnissen folgend lege ich den Fokus auf das Zuhause und frage dabei insbesondere nach der Bedeutung, die den Objekten für die Herstellung eines Zuhauses an immer neuen Orten zukommt.

Während die ökonomische Bedeutung hochqualifizierter Migrant*innen recht früh in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen und politischen Interesses rückte, sind die damit verbundenen sozialräumlichen Aspekte sowohl des wiederholt mobilen als auch des wiederkehrenden, aber immer zeitlich begrenzten Lebens vor Ort wenig erforscht. Studien aus dem Feld der Transmigration und der Pendelmigration legen allerdings nahe, dass die Annahme, auch diese Form der wiederholten Migration führe zu Bindungslosigkeit und einem Bedeutungsverlust von Orten, zu kurz greift (z.B. Levitt und Schiller 2004; Ley 2004; Nowicka 2007; Glick Schiller und Simsek-Caglar 2011; für den Fall der Migration innerhalb der EU Marcu 2014; zum Konzept der „liquid migration“ vgl. Bauman 2003; Bygnes und Erdal 2017).

Nimmt man die spezifischen Formen des Balancierens zwischen Mobilität und Ortsbindung in den Blick (Müller 2020), geraten insbesondere die spezifischen sozialen und räumlichen Praktiken (Schatzki 2001) in den Fokus, welche die Migrant*innen ausbilden, um Ortsbindungen herzustellen und Identitäten aufzubauen, die stabil genug sind, wiederholte Ortswechsel auszuhalten. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Praktiken zu, die entwickelt werden, um trotz wiederholter Migration dennoch immer wieder ein „Zuhause“ an den je neuen Orten zu konstituieren.

Mithilfe meinen Forschungsdaten zeige ich, welche Bedeutung Objekte für die Herstellung von „Zuhause“ vor dem Hintergrund wiederholter Migration aufweisen. Objekte sind dabei in dreierlei Hinsicht wirksam: Sie können (1) Bindungen vor Ort ermöglichen und zu einer „Be-heimatung“ (Binder 2008) beitragen, aber ebenso (2) das Fehlen von Bindungen verdeutlichen und damit das Schaffen eines lokalen Zuhauses unmöglich machen. Und sie können schließlich (3) als Brücken zwischen dem Zuhause vor Ort und dem Zuhause anderswo dienen. Damit soll der Beitrag auch anregen, durch den Einbezug einer materialitätssensitiven Perspektive die Konzepte des Zuhauses und des Wohnens in der Stadt zu aktualisieren.