Die Verantwortung der Wissenschaft in der ökologischen Krise

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 1.109
Autor*innen
Joachim Rathmann (Augsburg)
Kurz­be­schreib­ung
Auch die Wissenschaft trägt eine Verantwortung für die ökologische Krise, denn die ökologische ist auch eine geistige Krise.
Schlag­wörter
Scientists for Future, Wertneutralität, engagierte Wissenschaft, ökologische Krise, Verantwortung

Abstract

Mit den Schulstreiks Fridays for future (FFF) setzt sich eine Bewegung für schnelle und effektive Klimaschutzmaßnahmen ein. Inzwischen unterstützen zahlreiche andere Organisationen die FFF-Bewegung, u.a. die Scientists for Future (S4F). Dass sich ExpertInnen/Intellektuelle in einen öffentlichen Diskurs einbringen ist oft notwendig und vielfach selbstverständlich.

Doch zunächst wird argumentativ auf den ersten Positivismusstreit der 1960er Jahre zurückgegriffen sowie auf die in den letzten Dekaden im angelsächsischen Raum erfolgte neue Auseinandersetzung um die Wertneutralität von Wissenschaft.

Denn; ist es die Aufgabe von Wissenschaft, für die Belange einer gesellschaftlichen Gruppe öffentlichkeitswirksam einzutreten? Wissenschaft, die an die Öffentlichkeit drängt, muss sich einem Diskurs stellen, welcher die eigene Fachexpertise übersteigt und daran sind weitere Fragen gekoppelt: Ist es die Aufgabe der Wissenschaft, das Klima zu retten, die Gesellschaft zu belehren und Lösungen anzubieten? Auch eine Privilegierung von Kritik durch Wissenschaft besteht in einer offenen Gesellschaft aus guten Gründen nicht. Sicherlich gibt es vereinzelt immer Wissenschaftler, die aufmerksamkeitsökonomisch Profit von der FFF-Bewegung ziehen und sich als apokalyptische Mahner profilieren wollen. Doch habituelle Reflexe, denen insbesondere NaturwissenschaftlerInnen seit Jahrzehnten folgen („wir haben das Wissen, die Fakten aber die Politik hört nicht auf uns“), haben nur geringe Wirkmächtigkeit entfalten können. Daher gilt es innezuhalten und das bisherige Agieren zu überdenken. Denn Wissenschaft, die gesellschaftlich mehr fordert, sich mehr Gewicht verleiht, politisiert sich; agiert in Hybris, denn damit übernimmt sie eine Rolle, die ihr in einer offenen Demokratie nicht zustehen kann. Eine durch Wahlen erfolgte Legitimation, sich dem Allgemeinwohl anzunehmen, hat Wissenschaft nicht, daher bleiben das Parlament und die Regierung das legitimierte Sprachrohr des Volkes. Fordern Wissenschaftler mehr, so fordern sie Mitwirkung an politischen Prozessen ohne sich dafür bei Wählern rechtfertigen zu müssen. Wissenschaft, die sich öffentlich politisch positioniert widerspricht dem Prinzip der Wertfreiheit.

Doch unabhängig von diesen Herausforderungen soll gezeigt werden, dass S4F, aus Gründen, die in der Wissenschaft selbst liegen, eine zu geringe Wirkmächtigkeit wird entfalten können. Denn es wird dargelegt, dass die Mittel, die WissenschaftlerInnen seit Jahrzehnten anbieten, offenkundig kaum wirksam sind, um das Ziel einer tragfähigen Zukunft globaler Ökosysteme zu erreichen. Weiterhin ist es bequem und wohlfeil, die Verantwortung der Politik oder Wirtschaft anzulasten, dort Unterlassungen, mangelndes und falsches Handeln anzuprangern, Sparsamkeit einzufordern und selbst Ressourcenverschwendung zu feiern; denn die Verantwortung, die S4F gerne der Politik zuweisen, liegt auch in der Wissenschaft selbst.