Verantwortung in der Klimakrise

Fachsitzung
Sitzungs-ID
FS-457
Termin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Raum
SH 1.109
Sitzungsleitung
Yannick Strasmann (Ruhr-Universität Bochum)
Kirsten von Elverfeldt (Universität Klagenfurt)
Kurz­be­schreib­ung
Häufig wird Verantwortung individualistisch verkürzt oder mit dem Hinweis auf gesellschaftliche Strukturen zurückgewiesen. Politische Verantwortung bedeutet hingegen, die strukturellen Bedingungen des ökonomischen und sozialen Lebens zu gestalten. Wie lässt sich kollektive Verantwortung für den Planeten Erde verwirklichen?
Schlag­wörter
Mensch-Umwelt-Beziehungen, Moral Geographies, Geographische Bildung

Abstract der Sitzung

Fragen der „Verantwortung“ sind vor dem Hintergrund des Klimawandels und der sozialen Polarisierung aktueller denn je - und zwar im doppelten Bedeutungssinne von “Verantwortung”: Als Frage der Verursachung und der damit einhergehenden Verantwortung (“Schuld”), aber auch als Frage der Übernahme von Verantwortung für eine lebenswerte Zukunft.

Häufig wird die Eigenverantwortung des Individuums in den Mittelpunkt gestellt. So wird von politischer Seite her häufig die individuelle Verantwortung für den eigenen Fußabdruck betont. Als „Responsibilisierung“ wird diese Tendenz gerne mit dem Hinweis auf gesellschaftliche Strukturen und den geringen Einfluss des Einzelnen zurückgewiesen. Doch lässt sich der Verantwortungsbegriff vielleicht schlicht auf verschiedenen Ebenen betrachten, ohne den Gegensatz zwischen Individuum und gesellschaftlichen Strukturen als starres Entweder - Oder anzusehen? Hier bieten auch Systemtheorien Analyseansätze: So kann Verantwortung zum einen auf einer höheren, emergenten gesellschaftlichen Ebene bei strukturellen Stakeholdern aus beispielsweise Politik und Wirtschaft verortet werden. Die darunter liegende, individuelle Verantwortungsebene zum anderen kann die höhere, emergente nicht direkt beeinflussen, ist aber dennoch entscheidend für den gesellschaftlichen Umgang mit großen Herausforderungen wie der Klimakrise. Denn hier ist Verantwortung kumulativ wirksam, ganz im Sinne einer Umkehrung der von Kahn einst so genannten ‘Tyrannei der kleinen Entscheidungen’ hin zu einer ‘Chance der kleinen Entscheidungen’. Bereits Hans Jonas wies darauf hin, dass kollektive Verantwortung für den Planeten Erde politisch hergestellt werden muss. Während er sich aber nicht vorstellen konnte, dass liberale demokratische Systeme Einschränkungen ihres Luxus beschließen, betonten Jürgen Habermas und Hans-Otto Apel, dass das Wohl des Planeten nicht ohne ein demokratisches Gemeinwohl zu denken seien. Mit dieser Debatte etablierte sich der Begriff „Verantwortung“ als Schlüsselbegriff der Bewältigung menschengemachter Zukunftsprobleme. Beide Positionen werden bis heute vertreten, doch werden, mit zunehmender Dringlichkeit der Problematik, demokratiepessimistische Positionen deutlich lauter. Unter welchen Bedingungen sind Menschen bereit, ihre persönlichen Interessen hinter ein Gemeinwohl oder das Wohl eines Anderen zurückstellen? So kann Verantwortung zur Herausforderung für die Ambiguitätstoleranz und für einen gesellschaftlichen Verantwortungsdiskurs werden, der jedoch durchaus produktiv geführt werden kann. Welche Verantwortung bedeutet die Klimakrise beispielsweise zum einen für die Wissenschaften und für einzelne Disziplinen wie auch der Geographie, und zum anderen für Wissenschaftler:innen und somit für uns als Geograph:innen als Einzelpersonen? In Zuspitzung der oben bereits gestellten Frage ließe sich also fragen: Wie kann geographische Verantwortung vor dem Hintergrund der Klimakrise gedacht und vor allem: übernommen werden?