Friedensförderung und Dekarbonisierung: Zu den politischen Geographien von Energiewendeprozessen

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Benno Fladvad (Universität Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
Der Vortrag diskutiert die ambivalente Rolle von Dekarbonisierungsstrategien in der Friedensförderung. Er zielt darauf ab, zu zeigen, wie der globale Kampf gegen den Klimawandel die vermeintlich klare räumliche Verortung von und die Trennung zwischen Krieg bzw. Konflikten und Frieden verkompliziert.
Schlag­wörter
Environmental Peacebuilding, Dekarbonisierung, Energieinfrastrukturen, Kolumbien

Abstract

In den letzten Jahren ist der ambivalente Zusammenhang zwischen Friedensförderung im Umweltbereich (environmental peacebuilding) und Dekarbonisierungsstrategien zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Debatten geworden. Auf der einen Seite wird dabei das Potenzial von dezentralen Energiewendeprozessen als ein Mittel für Friedensförderung, Konfliktprävention und der Umverteilung politischer Macht hervorgehoben. Auf der anderen Seite wird hingegen vor der Gefahr einer Zunahme von gewaltvollen Konflikten gewarnt, etwa durch einen erhöhten Bedarf an „grünen Konfliktmineralien“, wie Lithium und Kobalt, oder durch großflächige erneuerbare Energieinfrastrukturen, die mit Vertreibungen und Landnahmen einhergehen. Deutlich wird dabei zudem, dass insbesondere Regierungen und Akteure des globalen Nordens Energiewendeprozesse vorantreiben, während Länder des globalen Südens, die oftmals mit Energiearmut, Wasserknappheit und instabilen politischen Systemen konfrontiert sind, zunehmend die negativen sozialen und ökologischen Folgen tragen. Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass sich neokoloniale Herrschaftsverhältnisse verfestigen und die globale Energiewende eher zu einem Konfliktherd als zu einem Instrument der Friedensförderung wird.

Vor diesem Hintergrund diskutiert der Vortrag die ambivalente Rolle von Dekarbonisierungsstrategien in der Friedensförderung und zielt darauf ab, zu zeigen, wie der globale Kampf gegen den Klimawandel die vermeintlich klare räumliche Verortung von und die Trennung zwischen Krieg bzw. Konflikten und Frieden verkompliziert. In einem ersten Schritt gehe ich dabei auf auf das Konzept des environmental peacebuilding ein und erörtere dessen Fallstricke. Zusätzlich behandele ich den Zusammenhang zwischen erneuerbaren Energien und der Verteilung und Konzentration von politischer Macht. Darauf aufbauend schlage ich in einem zweiten Schritt vor, eine „infrastrukturelle Linse“ einzunehmen, die einen tieferen und differenzierteren Blick auf die räumlichen Dimensionen und Logiken von Dekarbonisierungsstrategien und ihren Transformations- und Konfliktpotenzialen ermöglicht. Der Vortrag schließt drittens mit einem Plädoyer für einen dekolonialen Ansatz in der Friedensförderung sowie mit Einblicken in den kolumbianischen Kontext, wo seit einigen Jahren der Versuch unternommen wird, eine umfassende Energiewende mit Forderungen nach Frieden und Gerechtigkeit in Einklang zu bringen.