Genossenschaftliche Pioniere in Zentral- und Südosteuropa: Ausweg aus der lokalen Wohnungskrise durch transnationale Vernetzung?
Abstract
Vor dem Hintergrund der hohen Eigentums- und niedrigen Sanierungsraten sowie einem Mangel an bezahlbaren Miet- und Sozialwohnungen verzeichnen die Länder Ost- und Südosteuropas einen wachsenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum und Alternativen zum Wohneigentum (Pósfai/Gál/Nagy 2017; Ireland 2020). In Reaktion darauf sind in den letzten 15 Jahren diverse wohnungspolitische Bewegungen – inkl. marktferner Wohnungsinitiativen – entstanden (Vilenica u. a. 2021). Ein Beispiel dafür ist das im Jahr 2017 von genossenschaftlichen Pioniere aus Serbien, Tschechien, Ungarn, Slowenien und Kroatien gegründete translokale MOBA-Netzwerk. Zentrales Ziel des in der Rechtsform einer Europäischen Genossenschaft organisierten Netzwerks ist es, mangels nationaler wohnungspolitischer Instrumente und Zugang zu Baukrediten gemeinsame Finanzierungsinstrumente für neue genossenschaftliche Wohnungsanbieter zu entwickeln.
Der internationale Trend zu gemeinschaftlichen, selbstverwalteten und marktfernen Wohnmodellen, meist subsummiert unter Housing Commons oder community-led housing, geht einher mit einer wachsenden Erforschung der rechtlich-organisatorischen Ausprägungen (Horlitz 2021; Balmer/Bernet 2015), lokalen Akteurskonstellationen, Herausforderungen, Potenzialen (Bunce 2020; DeFilippis u. a. 2019) und wohnungspolitischen Anforderungen (Ferreri/Vidal 2021). Allerdings gibt es bislang nur vereinzelt empirische Analysen, die für Ost- und Südosteuropa die Debatte um die Etablierung von community-led housing aufgreifen. Das hat damit zu tun, dass Genossenschaften hier zwar eine lange Tradition besitzen, aber bislang kaum Beispiele existieren, die den jüngeren nutzer*innen- und beteiligungsorientierten Trends bspw. in Katalonien, Belgien oder der deutschsprachigen Länder gleichkämen. Aber auch darüber hinaus sind die translokalen Netzwerke und Lernprozesse von community-led housing bislang kaum untersucht (vgl. Lang/Carriou/Czischke 2018). An dieser Stelle eröffnet sich mit Blick auf das translokale Genossenschaftsnetzwerk MOBA eine zweifache Forschungslücke.
In unserem Beitrag möchten wir vor diesem Hintergrund der Frage nachgehen, welche räumlichen Strategien die Initiativen für den Aufbau transnationaler Genossenschaftsfinanzierung anwenden und welche Möglichkeiten und Grenzen sich hier zeigen. Damit wollen wir einerseits zur Erforschung der räumlichkeitsbezogenen Reichweite zivilgesellschaftlicher Initiativen beitragen und andererseits EU-weite Finanzierungsmöglichkeiten marktferner Wohnmodelle stärker in den Fokus nehmen. Unsere empirische Analyse basiert auf 20 problemzentrierte Interviews mit Vertreter*innen und Partner*innen von MOBA, internationalen NGOs und Verbänden sowie rund 10 teilnehmende Beobachtungen an transnationalen Meetings von MOBA SCE und internationalen Events sowie weiteren online-Formaten (Erhebungszeitraum 7/2022-3/2023). Theoretisch greift der Beitrag netzwerkbezogene Elemente sozialer Bewegungen und den Sozialkapitalansatz auf.