Globale Gesundheit regierbar machen? Politische Umgangsweisen zwischen Krisenintervention und nachhaltiger Planung
Abstract
„A world at risk“ – so charakterisiert der Jahresbericht 2019 des Global Preparedness Monitoring Board die Welt vor der Pandemie. Vor dem Hintergrund verschiedenster Bedrohungsszenarien und Gesundheitsgefahren ist das Politikfeld globaler Gesundheit geprägt von Umgangsweisen, die diese Unsicherheiten regierbar machen sollen, z.B. durch Techniken der Preparedness wie dem Bevorraten medizinischer Güter für den Notfall, Technologien der Datenerhebung zur Früherkennung, Schaffung neuer internationaler Gremien und Finanzierung von Sicherheitsinfrastrukturen.
COVID-19 als Krisenmoment hat Grenzen der Preparedness – im Sinne einer Vorbereitung auf zukünftige Notfälle – aufgezeigt: Indikatoren einer guten Preparedness korrelierten nicht mit niedrigen Infektions- und Todesraten; bevorratet wurden medizinische Güter, aber keine oder zu wenig Masken; designierte Notfallpläne hakten in der Umsetzung. Gleichzeitig begründet die Pandemie damit eine vermeintliche Notwendigkeit weiterer Maßnahmen und Technologien in Vorbereitung auf weitere Gesundheitsbedrohungen.
In der institutionellen Praxis jedoch bedingte die Pandemie eine Verschiebung der politischen Umgangsformen mit COVID-19: Kurzfristige Kriseninterventionen prägen die Arbeit der Politik, während die mittel- und langfristige Planung in den Hintergrund rückt. Die politische Aufmerksamkeit für COVID-bezogene Themen bedingt eine Re-Priorisierung zum Nachteil anderer Gesundheitsthemen; pandemiebedingte Entwicklungen bedingen Re-Fokussierungen nach aktuellen Fallzahlen, hot spots und akuten Bedarfen von medizinischen Gütern und Impfstoff. Die dynamische Lage der Pandemie erfordert schnelle Intervention, die die institutionellen Umgangsweisen auf Reaktivität beschränken statt vorausschauend planen zu können. In diesem Beitrag setze ich die während meiner ethnographischen Forschung im deutschen Außenministerium gewonnenen Einblicke als Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit Themensetzungen und -verschiebungen, Problematisierungen und Umgangsweisen in einer ‚heißen‘ Krisensituation globaler Gesundheit.