Hamburg enteignet: Vergesellschaftung als feministischer Ansatz für die Wohnungskrise
Abstract
Die Wohnung ist seit jeher Ort der Reproduktions- und Care-Arbeit (Hayden 1981). Diese wird überproportional häufig von FLINTA* verrichtet, die darüber hinaus strukturell eher gering bezahlte Lohnarbeit oder Teilzeit-Tätigkeiten ausüben. Dies führt zu einer insgesamt schlechteren Lage und Wettbewerbsfähigkeit vieler FLINTA* auf dem Wohnungsmarkt, zu einer hohen Mietbelastung oder Abhängigkeit von Partner*innen. FLINTA* sind von der Erreichbarkeit der für ihren Alltag und für die (unbezahlten) Tätigkeiten wichtigen Orte wie Kindergärten, Schulen, Arztpraxen etc. abhängig und daher auch im besonderen Maße von der Knappheit bzw. stetigen Verringerung bezahlbaren und sozialen Wohnraums in Innenstädten betroffen. Die Wohnungsfrage ist daher nicht isoliert, sondern im Zusammenhang sozialer und gesellschaftlicher Reproduktion sowie Anerkennung von (Lohn‑)Arbeit zu betrachten (Reichle und Kuschinski 2020: 5). Aktive und passive vergeschlechtlichte Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sind dabei allgegenwärtig, er wird damit zum zentralen Schauplatz der feministischen Wohnungsfrage. Ein Versuch diesem durch geschlechtliche Diskriminierung begrenzten Zugang zu Wohnraum entgegenzutreten ist die Forderung der Volksinitiative Hamburg enteignet nach Vergesellschaftung von Wohnraum.
Mit dem Ziel große, profitorientierte Wohnungsunternehmen zum Zwecke der Vergesellschaftung zu enteignen, setzt sich die Volksinitiative Hamburg enteignet, nach dem Vorbild von Deutsche Wohnen & Co. enteignen für die Vergesellschaftung von Wohnungsunternehmen mit mehr als 500 Wohneinheiten in Hamburg ein. Vergesellschaftung ist in diesem Kontext als Rechtsbegriff zu verstehen, der sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes bezieht. Die Frage der Vergesellschaftung ist jedoch keine exklusiv juristische Frage, sondern wirft viele sozial- und wirtschaftswissenschaftliche sowie politische Fragen auf. Der Beitrag argumentiert, dass durch eine demokratische Verwaltung von Wohnraum, durch Mieter*innen und Stadtgesellschaft, patriarchale und rassistische Strukturen auf dem Wohnungsmarkt durchbrochen werden können.
Im Beitrag wird zunächst eine feministische Lesart der Wohnungsfrage dargestellt. Als theoretische Rahmung dieser Arbeit dient die volkswirtschaftliche Perspektive der Marxistischen Politischen Ökonomie. Es wird argumentiert, inwiefern die Vergesellschaftungsforderungen der Volksinitiativen rund um Wohnraum feministisch sind. Darüber hinaus werden Perspektiven für eine zukünftige Vergesellschaftungspraxis abgeleitet.
Die Arbeit leistet einen Beitrag zur Diskussion um Vergesellschaftung von Wohnraum und ergänzt diese um eine feministische Perspektive. Darüber hinaus erfolgt eine Einordnung der Vergesellschaftungsforderungen um Wohnraum in Hamburg als Teil einer wachsenden internationalen Bewegung, die sich für die Vergesellschaftung der gesamten Daseinsvorsorge (Gesundheit, Pflege, Energie, Wohnraum etc.) und damit für eine solidarische und nachhaltige Gesellschaft einsetzt.