Historische Situierung smarter Elektrifizierung als infrastrukturpolitisches Paradigma

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 14:30–16:00
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Jakob Roschka (Universität Kassel)
Kurz­be­schreib­ung
Die Idee smarter Elektrifizierung hat ihre Ursprünge in der Geopolitisierung und Digitalisierung von Infrastrukturen. Der Beitrag situiert die Geopolitik digitalisierter Energieinfrastrukturen historisch und diskursiv, um die Kontingenz ihrer Gestaltung aufzuzeigen.
Schlag­wörter
Smart Grids, Smarte Elektrifizierung, Energiewende, Digitalisierung, Infrastrukturforschung

Abstract

Der Beitrag behandelt die historische Situiertheit von intelligenten Stromnetzen (oder auch “Smart Grids”). Am Beispiel dieses infrastrukturellen Diskurses zeigt sich, wie ein industrie- und energiepolitisches Programm, das heute als Bedingung einer klimaneutralen Energieversorgung aufgebracht wird, seine Ursprünge in der Geopolitisierung und Digitalisierung von Infrastrukturen hat.

“Smart Grids” sind nämlich zunächst ein Ergebnis von vor allem Ansprüchen an Infrastrukturen aus Sicherheits- und Liberalisierungsdiskursen der 1990er Jahre. Das Versprechen, klimaneutrale Stromversorgung durch flexiblen Lastenausgleich und dadurch ermöglichte Einspeisung erneuerbarer Energien zu ermöglichen, wurde erst seit den 2000er Jahren diesem Programm als zusätzliche Legitimation aufgesetzt.

Mit Smart Grids werden Stromnetze und Strommärkte elektrisiert, mit anderen Sektoren gekoppelt, flexibilisiert, digitalisiert und liberalisiert. Als Utopie oder Versprechen steht das posthumane “Internet der Dinge” oder auch “Internet der Energie”, in dem einzelne Verbrauchs‑, Erzeugungs- und Speicheranlagen “intelligent” miteinander verschaltet sind. Sie verantworten nicht nur kollektiv die Netzstabilität und andere Systemdienstleistungen, sondern gleichen auch Angebots- und Nachfragestrukturen auf Strommärkten aus. Dem Gedanken smarter Elektrifizierung liegt dabei eine kybernetische Ausweitungslogik zugrunde, die – gekennzeichnet durch ihre permanente Unabgeschlossenheit – immer weitere Praktiken und Praxiszusammenhänge inkorporiert. Die Logik, Energie zu sparen oder gar nicht zu nutzen steht diesem Prinzip diametral gegenüber, ja, zeigt sich beinahe als unvereinbar mit der Ausweitungs- und Wachstumslogik des Smart Grid. Gerade im Angriffskriegs Putins gegen die Ukraine zeigt sich wieder die Verwundbarkeit und Fragilität von Energieinfrastrukturen, die nun umso mehr durch Smartifikation gelöst werden soll (vgl. z.B. https://www.dena.de/newsroom/meldungen/2022/habeck-kuendigt-neustart-fuer-smart-meter-rollout-an/).

Um die Geopolitik digitalisierter Energieinfrastrukturen zu verstehen, müssen wir sie somit historisch und diskursiv situieren, um die Kontingenz ihrer Gestaltung aufzuzeigen und potentielle andere Formen von Energieintelligenz (Passivenergie, graue Energien etc.) zu verstehen.

Der Beitrag präsentiert Ergebnisse aus einer Diskurs- und Deutungsmusteranalyse smarter Elektrifizierung von 1990-2015 sowie erste Thesen aus dem Mapping sozialer Welten (A. Strauss/A. Clarke) in der Energiesystemgestaltung am Beispiel der “Plattform Klimaneutrales Stromsystem” des BMWK.