Innovationsräumliche Dialektik? Konzeptionelle Ansätze für strukturschwache, ländliche Regionen
Abstract
Im Verständnis des ausgehenden 20. Jahrhundert wird Innovation häufig einer abgrenzbaren Gruppe an Akteuren zugeschrieben und ist von einer großen ‚Innovationshöhe‘ gekennzeichnet. Ausgehend von dem Versuch, räumliche Disparitäten mit Blick auf die Innovationsfähigkeit von Regionen zu erklären, wird sich in erster Linie Ideen räumlicher Proximität zwischen diesen Akteuren bedient. Das dominante Innovationsverständnis bestimmt also das räumliche Innovationsverständnis. Umgekehrt stärken territoriale Innovationspolitiken eben jene innovativen Akteure, auf deren Beobachtung das entsprechende Raumverständnis beruht. Für strukturschwache Räume stellt ein solches territoriales Innovationsverständnis ein Problem dar, da es diesen Regionen häufig an endogenem Potential mangelt.
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde der Innovationsbegriff im Sinne einer Hinwendung zu offenen und sozialen Innovationen erheblich erweitert. Ersteres impliziert die Transzendierung klassischer Organisationsgrenzen und einen neuen Fokus auf die Rolle von etwa Nutzer*innen und Online-Communities bei der Betrachtung von Innovationsprozessen (Schmidt et al., 2018). Letzteres das Vordringen in neue gesellschaftliche Sphären (Rammert et al., 2019) wie nicht zuletzt Verwaltung, und Zivilgesellschaft. In Kombination mit der allgegenwärtigen Digitalisierung der Arbeits‑, Konsum- und Sozialwelt, haben territoriale Erklärungsmuster an Bedeutung eingebüßt und translokale Perspektiven auf Innovationprozesse neue Aufmerksamkeit erhalten (Ibert et al., 2015). Zugleich birgt die Anerkennung der Überschreitung regionaler Grenzen in Innovationsprozessen das Potential für strukturschwache Regionen, extra-regionale Potentiale und Ressourcen zu aktivieren und so die eigene Innovationsfähigkeit zu stärken.
Vor dem Hintergrund einer innovationsräumlichen Dialektik – also der Idee einer gegenseitigen Konstituierung von Innovations- und Raumverständnis – diskutiert dieser Beitrag konzeptionelle Zugänge zu einem empirisch untermauerten Innovationsverständnis strukturschwacher Räume, welches translokale Innovationsdynamiken mitdenkt. Mit Blick auf die Identifizierung von Innovationsprozessen beziehe ich mich hierbei auf Rammert et al.‘s (2018) Diskussion einer ‚Innovationssemantik‘. In Hinblick auf transterritoriale Dynamiken knüpfe ich an Ideen einer Open Region (Schmidt et al., 2018) sowie transterritoriale Konzeptionen von Entrepreneurial Ecosystems an.
Ibert, O., & Müller, F. C. (2015). Network dynamics in constellations of cultural differences: Relational distance in innovation processes in legal services and biotechnology. Research Policy, 44(1), 181-194.
Rammert, W., Windeler, A., Knoblauch, H., & Hutter, M. (2018). Innovation society today. Perspectives, fields and cases. Wiesbaden: Springer VS.
Schmidt, S., Müller, F. C., Ibert, O., & Brinks, V. (2018). Open region: Creating and exploiting opportunities for innovation at the regional scale. European Urban and Regional Studies, 25(2), 1