Interstitiality und raum-zeitliche Verhandlungen der urbanen Transformation

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 11
Autor*innen
Clara Da Ros (Universität Hamburg)
Kurz­be­schreib­ung
Über Potentiale und Grenzen von transformativen, alternativen Bewegungen in städtische Räume wurde viel geforscht. Es stellt sich aber auch die Frage nach den räumlichen und zeitlichen Komponenten urbaner Transformation. Anhand eines empirischen Beispiels aus Hamburg wird ein Denkexperiment über die Verstrickung von Vergangenheit und Zukunft in unsere gebaute Umwelt im Moment der sozio-ökologischen Transformation vorgeschlagen.

Abstract

In sozialwissenschaftliche Untersuchungen von Experimente, Reallabore, lokale Akteur*innen oder Quartiersinitiativen wird der Blick häufig auf lokal verankertes Handeln gelenkt und damit auf mikropolitische transformative Praktiken (Baier u. a. 2016; Müller 2017; Foster 2020; Kropp und Da Ros 2021). Ich möchte in diesem Rahmen die Idee von interstitiellem Handeln (Monticelli 2018) angehen, die als enge Verwandte von Foucault’s Heterotopien (Foucault 2004) verstanden werden kann. Dafür möchte ich Elemente aus meinem Promotionsprojekt als Illustration nennen.

In Hamburg untersuche ich Initiativen, die Hochbunker (mit)transformieren. Bunker sind Orte, an denen die Vergangenheit und die Materialität der Städte besonders deutlich werden, sowie schwere historische Erinnerungen. Im Rahmen der Begrünungsprojekte von Bunker wird aber auch eine bestimmte Zukunftsorientierung deutlich, indem die Begrünung zu Klimaschutzzielen beitragen und alltägliche Nachhaltigkeitserfahrungen ermöglichen soll. Die beteiligten zivilgesellschaftlichen Initiativen beschäftigen sich sowohl damit, einen Zukunftsort für das Quartier zu werden als auch die Geschichte(n) des Bunkers sichtbar zu machen.

Die Untersuchung dieser Spannung zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Grau und Grün, zwischen historischem Beton und blühenden Hochbeeten verspricht Erkenntnisse darüber, wie die Relation zwischen gebauter Umwelt und sozialen Sinnprozessen verändert wird. Dabei geht es nicht darum, dass die historische Bedeutung durch zukunftsorientierte Diskurse ersetzt wird, sondern vielmehr handelt es sich um die Koexistenz von multiplen Deutungen an einem Ort. Wie der Efeu oder der Graffiti vermischen sich diese auf einer fast symbiotischen Art mit den Betonwänden des Bunkers.

Wenn von Interstitial Movements die Rede ist, ist damit ein verlaufender, zwischenräumlicher, präfigurativer Prozess der Veränderung gemeint (Monticelli 2018; Monticelli 2021; Schiller-Merkens 2022). Bezüglich der Wirksamkeit von lokalem Handeln über die Begrenztheit baulicher und planerischer Interventionen hinaus, wird präfiguratives Handeln aber auch im Hinblick auf seine tatsächlichen Veränderungspotentiale in Frage gestellt (Deflorian 2020; Deflorian 2021). In Anlehnung an Doreen Massey’s Konzept des Throwntogetherness (Massey 2005) möchte ich das Denkexperiment vorschlagen, urbane Transformation wie ein raum-zeitliches Kontinuum zu betrachten, innerhalb dessen multiple zeitliche und materielle Erfahrungen ineinander verstrickt sind und durch soziale Handlungen verhandelt und neuverhandelt werden. Wie im Falle der Bunkertransformation könnte ein verschärfter Blick für diese sozio-raum-zeitlichen Verhandlungen helfen, raum-zeitliche Widersprüche urbaner (interstitieller) Zukunftsproduktionen zu überwinden und aktiv anzugehen. An dieser Stelle muss schließlich die entscheidende Rolle von zivilgesellschaftliche Akteur*innen betont werden, da sie diese Verhandlungen durch ihre alltägliche Praxis offenbaren.