“It’s like a constant work to keep it running”: Digitale Plattform-Abhängigkeiten lokaler, europäischer KMUs im Einzelhandel
Abstract
Globale krisenhafte Entwicklungen gefährden den lokalen Einzelhandel in Europa. Die steigende Inflation, die Covid-19 Pandemie und der von Russland geführte Angriffskrieg in der Ukraine sind neben dem Klimawandel die größten Bedrohungen (nicht nur) für diese Branche und führen zur flächendeckenden Schließung insbesondere kleiner inhabergeführter Einzelhandelsunternehmen. Galt die Digitalisierung noch vor wenigen Jahren als Todesstoß für diese Einzelhandelsbetriebe, scheinen insbesondere digitale Technologien nun lokale Existenzen unter den KMUs zu sichern. Im Auftrag der Europäischen Kommission und des PPMI Litauen führe ich dazu eine empirische Untersuchung durch in der ich frage, welche Chancen und Herausforderungen diverse digitale Technologien für kleine inhabergeführte Einzelhandelsunternehmen in Europa mit sich bringen und welche Technologien bevorzugt zur Anwendung kommen. Unter diversen digitalen Technologien verstehe ich sowohl Technologien im B2C- als auch B2B-Bereich wie zum Beispiel Online-Marketing und -Verkauf, aber auch digitale ERP-Lösungen. Um die Forschungsfrage zu beantworten, führe ich acht qualitative Experte*innen-Interviews mit erfolgreichen lokalen Einzelhandelsunternehmer*innen unterschiedlicher Branchen in urbanen und ländlichen Räumen Tschechiens, der Schweiz, Österreichs, der Niederlande und Deutschlands. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die Nutzung digitaler Plattformen im Bereich Online-Marketing und ERP zu den Erfolgsstrategien der Einzelhändler*innen zählen. Die Experte*innen fühlen sich durch die Nutzung selbstbestimmter in Hinblick auf die Geschäftsführung und Lebensweise (Arbeit von zu Hause), jedoch belastet auch die Vielzahl an Möglichkeiten und Nutzungsentscheidungen. Bei der Nutzung tun sich gegenseitige Abhängigkeits- und Machtungleichverhältnisse zwischen den nicht selten internationalen Plattformen und ihren lokalen Nutzer*innen auf. Wesentlich sind dabei individuelle Überlegungen und Affinitäten, die zum Teil zu (vermeintlich) selbstbestimmten Abhängigkeiten führen. So entscheidet sich eine Einzelhändlerin für die internationale Online-Verkaufsplattform Shopify aufgrund von persönlichem Geschmack und Vertrautheit, obwohl sich durch die Plattform für ihr Geschäft auf dem heimischen tschechischen Markt Hürden auftun, die zeitintensive Anpassungshandlungen nach sich ziehen. Das führt dazu, dass ihre Online-Kunden zunehmend aus anderen europäischen Ländern als Tschechien einkaufen. Auch das Bezahlsystem digitaler Plattformen führt zu neuen Abhängigkeiten. Neben Einmalkosten fallen vermehrt monatliche Gebühren an, die einkalkuliert werden müssen und zu finanziellen Problemen führen können. Zudem bauen viele Plattformen aufeinander auf und ein Wechsel wird schwieriger, je mehr Plattformen die Händler*innen miteinander verknüpfen. Je besser sie jedoch ihre Produkte und ihr Geschäftsmodell kennen, desto besser sind sie in der Lage, ihr Geschäft auf mehrere Standbeine zu stellen.