Jenseits des postmodernen Raumes? Versuch zu einer wissenschaftstheoretischen und wissenschaftsphilosophischen Kontroverse postmoderner Geographien unter besonderer Berücksichtigung einer phänomenologisch-anthropologischen Kritik
Abstract
Ausgangsthese: Nie war eine Geographie des Menschen, seiner Kultur und Gemeinschaft so weit vom Leben und Menschen entfernt, wie die aktuell praktizierte Humangeographie. Mit der Entdeckung und Fetischisierung des Symbols sowie der Konstruktionsmetapher hat sich ein Raumsymbolismus/-konstruktivismus und damit ein hypertropher neopragmatischer Nominalismus manifestiert, der die unerschöpfliche Terrestrialität als Ort des umweltlichen Lebens und Erlebens in einen naturenthobenen Soziologismus und Kulturalismus auflöst. Übrig bleibt eine von der Realität entkoppelte Wirklichkeit, abstrakte und leere Struktur, ohne Ursprung, ohne transzendentales Subjekt, ohne Körperleib, sowie ein latenter Dualismus (Diskurs/Kultur vs. Materialität/Natur = Cartesianismus). Doch wer spricht? Wer be–greift? Es entsteht ein sinnloser, einseitiger Formalismus, der in seinen Paroxysmus getrieben wird, weil er die ganzheitliche, die vorsprachliche und a-symbolische Erfahrung suspendiert hat. Aber der Mensch wird nicht in den Logos geboren, sondern zuallererst in die lebendige Erfahrung.
Nimmt man sich der Sache kritisch an, bricht das postmoderne Narrativ zu phänomenologisch-anthropologische Gedanken durch, und es kann ein fruchtbarer Austausch zwischen ›Konstruktion‹ und ›Ausdruck‹ (z. B.: Plessner: Lachen & Weinen), zwischen lebendiger Erfahrung und Diskurs stattfinden. Man muss Kultur- und Sprachanalytik mit Sozial- und Naturphilosophie dialektisch verknüpfen, will man das postmoderne Forschungsprogramm (überhaupt?) retten. Denn: der geographische Mensch ist Kultur und Natur in Einem, als Doppelaspekt; ihm zerbricht unter der Hand die Welt in Kultur und Natur. Am Menschen selbst zeigt sich der psychophysische Konflikt – der Widerspruch von Diskurs und Materialität, die Mitte seiner Existenz.
Daher muss die postmoderne Geographie einen zu Unrecht verschmähten Menschenbegriff re-integrieren, der sowieso niemals verschwunden war, wenn man Foucault richtig gelesen hat. Es ging Foucault niemals um das Verschwinden des Menschen, es ging um eine Kritik der positiven Anthropologie.
Eine rationale, logische und selbstreflexive Geographie muss folgendes einsehen: Das Vermögen zu konstruieren – sei es symbolisch, diskursiv oder performativ – lässt sich nicht selbst wieder konstruieren; eine Geographie, die das erkennt, die Autarkie des Konstruktivismus tilgt, streift die Binde von den Augen (Adorno). Die soziale Konstruktion der Wirklichkeit beruht auf einer phänomenologischen Dimension, einer leistenden und substanziellen Subjektivität, ohne die jegliche Kontingenz, Akzidenz und jedes Anders-Werden verunmöglicht wäre. Ohne Mensch keine Geschichte, kein Diskurs, kein „Geographie-Machen“. Der Beitrag will also Kontroverse schaffen und sich mittels einer phänomenologisch-anthropologischen Perspektive wissenschafts- und erkenntniskritisch einer sprachorientierten sowie konstruktivistischen Geographie nähern, und so auf ihre Widersprüche, Kurz- und Fehlschlüsse hinweisen.