Jenseits pauschaler Schuldzuweisungen: Eine gesellschaftstheoretische Triade als Wegweiser für eine heterogenitätssensible geographische Wohnungslosigkeitsforschung

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 15
Autor*innen
Tom Meyer (Ruhr-Universität Bochum)
Georgina Kress
Kurz­be­schreib­ung
Auf Basis dreier gesellschaftstheoretischer Zugänge werden Möglichkeiten aufgezeigt, um Umgangsformen mit Wohnungslosigkeit differenzierter innerhalb der Geographie zu erforschen. Eine konzeptionell gestützte Wissensgenerierung ist essenziell, um Wohnungslosigkeit schrittweise zu überwinden.
Schlag­wörter
Geographische Wohnungslosigkeitsforschung, Heterogenität, Othering, Normalismus, Liberalismus

Abstract

Die geographische Forschung zu Wohnungslosigkeit wird teils dafür kritisiert, ein zu großes Augenmerk auf die nicht-institutionalisierte Wohnungslosigkeit in Form von Straßenobdachlosigkeit zu legen. Jene wird häufig pauschalisierend mit punitiven Stadtpolitiken verbunden. Dies hat zur Folge, dass die Vielfalt von institutionellen Umgangsformen mit Wohnungslosigkeit zu kurz kommt. Durch ihre Art der Problematisierung können die Forschungsarbeiten zwar ein wichtiges Gegengewicht zu medial vermittelten Bildern von Wohnungslosigkeit darstellen, gleichzeitig aber aufgrund pauschaler Schuldzuweisungen nur bedingt einen Beitrag zur Überwindung strukturell bedingter Wohnungslosigkeit leisten.

Bei genau diesem Problem setzt der Beitrag an. Er nimmt es als Ausgangspunkt einer Suche nach theoretischen Positionen, die geeignet erscheinen, potenzielle Heterogenität von Umgangsformen mit wohnungslosen Menschen und deren Genese zu erforschen. Auf einer wissenschaftstheoretischen Triade bauend, kann differenziertes Wissen generiert werden, um eine Scharfstellung bezüglich gesellschaftspolitischer Handlungserfordernisse aufzuzeigen. Hierbei sind sozialräumliche Unterschiede zentral. Insbesondere in Anbetracht der potenziell segregationsfördernden Logik städtischer Räume bei gleichzeitig steigenden Zahlen wohnungsloser Personen und fortwährender Urbanisierungsprozesse.

Konkret erarbeitet der Beitrag das Möglichkeitsfeld einer heterogenitätssensitiven Perspektive in der geographischen Wohnungslosigkeitsforschung. Als Basis hierzu dient die Kombination von Othering, Normalisierungs- und Liberalismustheorie. Alle drei Zugänge eignen sich, um empirisch Bedingungsmuster von Wohnungslosigkeit weiter aufzuarbeiten. Othering meint sowohl die diskursive als auch real-alltägliche Produktion von Wohnungs- und Obdachlosigkeit in Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft. Diese ist stark mit normativen Zuweisungen verbunden ist. Liberalismustheoretische Überlegungen stützen einerseits die Verstärkung dieser dualistischen Sichtweisen, zeigen aber etwa in Form des einbettenden Liberalismus mögliche gesellschaftliche Umschlagspunkte auf. Der Umgang mit Wohnungslosigkeit ist mithin ein gesellschaftlicher Seismograf. Aus diesem Grund erscheint die Verbindung von liberalismustheoretischen Überlegungen und Othering sowie deren empirische Überprüfung zentral. Schließlich wird in Konzepten von Normalisierung im Gegensatz zu normativen Zuschreibungen auf die Relevanz statistischer Entwicklungen hingewiesen. Mit der Einführung einer Wohnungslosenberichterstattung in Deutschland können Chancen und Risiken für die Aufbrechung eines normativen Blicks auf Wohnungslosigkeit einhergehen. Das Zusammenbringen der konzeptionellen Ausgangspunkte bildet den Grundstein für Diskussionen darüber, wie die geographische Wohnungslosigkeitsforschung bestmöglich Wissen zur Aufweichung diskriminierender Logiken generieren und somit gesellschaftliche Verantwortung maximieren kann.