[ABGESAGT] Kartographie, Ästhetik und Praxen: Überlegungen auf Grundlage des Ansatzes ‚devianter Kartographien‘

Vortrag
Sitzungstermin
Mittwoch (20. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
HZ 4
Autor*innen
Olaf Kühne (Universität Tübingen)
Dennis Edler (Ruhr-Universität Bochum)
Kurz­be­schreib­ung
Erzeugung und Nutzung von kartographischen Darstellungen ist ein Ausdruck individueller Praxen auf Grundlage unterschiedlicher gesellschaftlicher Konventionen. Die Entwicklung von beidem ist Ergebnis von Devianzen. Devianzen können funktional, a-funktional, dys-funktional oder meta-funktional sein.

Abstract

Kartografische Darstellungen sind Gegenstand der Sinneswahrnehmung und beruhen auf der Übersetzung von Sinneswahrnehmungen in kartografische Symbole. In dieser Hinsicht ist die Kartografie eng mit der Ästhetik verwandt, schließlich ist sie die – seit Baumgarten – die Wissenschaft der Sinneswahrnehmungen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der kartografischen Ästhetik konzentriert sich heute stark auf die ästhetische Wirkung kartographischer Darstellungen. Eine Reflexion philosophischer oder soziologischer Perspektiven, etwa der individuellen Praxen der Erzeugung und der Nutzung von Karten vor dem Hintergrund unterschiedlicher sozialer Konventionen – insbesondere in Bezug auf ästhetischen Urteile – unterbleibt dabei weitgehend. Diesem Themenfeld werden wir uns annahmen. Dabei greifen wir auf den von uns entwickelten Ansatz der Devianten Kartographien als Operationalisierung ‚postkritischer Kartographien‘ zurück. Dabei werden Entwicklungen der Kartographie als funktional, dysfunktional, afunktional und metafunktional gedeutet. Analytische Grundlage dieser Ableitung ist die aus der Soziologie entlehnte Befassung mit dem Thema der Devianz, normativ basiert er auf dem Konzept der Lebenschancen von Ralf Dahrendorf. Die Entwicklung kartographischer Praxen wird anhand des hier entwickelten Vokabulars nachgezeichnet. Dabei haben sich etwa die Entwicklung und Verbreitung computerbasierter Kartographie als funktional erwiesen. Als dysfunktional lassen sich kartographische Darstellungen beschreiben, die Lebenschancen aufgrund von Desinformation und Manipulation einschränken. Als afunktional lassen sich solche kartographischen Darstellungen beschreiben, die weder in der Öffentlichkeit noch in der Fachwelt auf Resonanz gestoßen sind. Metafunktionale Darstellungen sind geeignet die Kontingenz von Welt und ihrer kartographischen Interpretation, insbesondere mit Hilfe der Nutzung des Stilmittels der Ironie, zu verdeutlichen. In Anlehnung an die damit verbundene Theorie der abweichenden Kartographien verstehen wir die nach ästhetischen Kriterien gestaltete Kartografie als meta-abweichend, da sie die Kontingenz der Weltinterpretationen deutlich macht. Insbesondere erweiterte und virtuelle Umgebungen haben ein großes Potenzial, ästhetisch konstruierte kartografische Darstellungen zu erzeugen. Partizipative Kartografie ermöglicht es vielen Menschen, auch ohne expertenhaftes Spezialwissen über die Kontingenz ihrer Raumerfahrungen und räumlichen Abstraktionen zu reflektieren. Voraussetzung dafür ist allerdings eine größtmögliche Offenheit für Themen und Darstellungen.