Katastrophaler Status Quo? Was Katastrophen- und Nachhaltigkeitsforschung voneinander lernen können

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 9
Autor*innen
Theresa Zimmermann (FU Berlin)
Isabelle Desportes (FU Berlin)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag thematisiert Annäherungen und Schnittstellen kritischer Katastrophen- und Nachhaltigkeitsforschung. Die Katastrophenforschung zeigt Potenziale zum Verständnis von Machtdynamiken und Wissenshegemonien nicht-nachhaltiger Gesellschaftsformen und damit einhergehender Transformationsbedarfe.
Schlag­wörter
Katastrophenforschung, Machtdynamiken, Risikogenerierung, Paradigmen, Science-Policy-Nexus

Abstract

Der Beitrag thematisiert Schnittstellen kritischer Katastrophen- und Nachhaltigkeitsforschung. Wir argumentieren, dass sich beide Forschungsfelder weiterentwickeln und annähern, diese Annäherung im deutschen akademischen Diskurs jedoch bislang langsam voranschreitet und Potenziale ungenutzt bleiben. Insbesondere die kritische Weiterentwicklung der Katastrophenforschung zeigt Potenziale zum erweiterten Verständnis von Machtdynamiken und Wissenshegemonien nicht-nachhaltiger Gesellschaftsformen und damit einhergehender Transformationsbedarfe.

Anhand von vier Thesen nähern wir uns diesen Potenzialen an: Erstens: Die Katastrophenforschung zeigt das Ausmaß unserer aktuell nicht nachhaltigen gesellschaftlichen Organisation und damit die Notwendigkeit einer gerechten und tiefgreifenden Transformation. Die soziale Gerechtigkeit ins Zentrum einer ‚Großen Transformation‘ zu platzieren und damit Prozessen der Marginalisierung entgegenzuwirken, kann und sollte ein gemeinsames Anliegen der Katastrophen- und Nachhaltigkeitsforschung sein. Zweitens: Die Katstrophenforschung kann von einem erweiterten Blick auf gesellschaftliche Prozesse profitieren, um Prozesse und machtpolitische Fragen der Risikogenerierung zu verstehen und zu thematisieren. Eine gesamtgesellschaftliche Transformation könnte risikokreierende Strukturen durchbrechen und damit einen ein Ausweg aus dem Katastrophenzyklus bieten. Drittens: Machtdynamiken und Wissenshegemonien entfalten sich in katastrophen- und nachhaltigkeitsbezogenen Paradigmen und entlang des Science-Policy-Nexus. Die Nachhaltigkeits- und Katastrophenforschung können voneinander profitieren, bspw. im kritischen Umgang mit Entscheidungs- und Politikprozessen, Förderagenden, Prozessen und Institutionen der Wissensgenerierung und akademischen Forschungs- und Schreibpraktiken. Viertens: Katastrophen- und Nachhaltigkeitsforschung haben die gleiche Herausforderung, in den Wissenschaftsprozessen selbst verortete Macht- und Wissenshegemonien zu überkommen und Fragen epistemischer Gerechtigkeit zu adressieren. Gezielte Kollaborationen zwischen kritischen Katastrophen- und Nachhaltigkeitswissenschaftler*innen und ein enger Austausch mit anderen Forschungsbereichen wie postkolonialen Studien können helfen, westlich geprägte Epistemologien, Förderrichtlinien und Priorisierungen der Wissensgenerierung zu durchbrechen.

Abschließend argumentieren wir, dass die Nachhaltigkeitsforschung ein umfassendes Verständnis von gesellschaftlichen Dynamiken und Prozessen bedarf, die sozial- und räumlich differenzierte Risiken hervorbringen. Mit Ansätzen, die machtpolitische Fragen rund um die Entstehung gesellschaftlicher Risiken und Vulnerabilitäten in den Vordergrund rücken, kann die kritische Katastrophenforschung zu Überlegungen zu den Grundbedingungen tatsächlich nachhaltiger und gerechter Gesellschaftsformen beitragen.