(Klima-)Wissen verantworten: Verantwortungsgefühle und -gefüge im Weltklimarat

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
SH 1.109
Autor*innen
Friederike Hartz (University of Cambridge)
Kurz­be­schreib­ung
In Anbetracht der immer dringlicheren Notwendigkeit, den Klimawandel aufzuhalten und sich unausweichlichen Folgen anzupassen, gilt es für den Weltklimarat, eine zunehmend komplexe Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu navigieren. Welche Verantwortung kommt dabei beteiligten Wissenschaftler:innen zu?

Abstract

Das uns umgebende Klima verändert sich in einem unaufhaltsamen Tempo, die Zeit des Entscheidens und Handelns ist gekommen; so eine der Kernaussagen des aktuellen Sechsten Sachstandsberichtes (AR6) des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC). Seit 1988 fungiert der IPCC als maßgebende globale Autorität für die Synthese des aktuellen Forschungsstandes der Klimawissenschaft. Gegründet innerhalb der Vereinten Nationen mit dem Mandat, neueste Forschungsergebnisse zum Klimawandel und dessen physikalischen Grundlagen (heute Arbeitsgruppe I), Folgen (heute Arbeitsgruppe II) und möglichen Linderungsansätzen (heute Arbeitsgruppe III) zu bewerten, beteiligten sich in den vergangenen Jahrzehnten Abertausende von internationalen Wissenschaftler:innen verschiedenster Disziplinen ehrenamtlich daran, politisch relevante, jedoch nicht politisch präskriptive Einschätzungen Entscheidungsträger:innen zur Verfügung zu stellen.

Aus der immer dringlicheren Notwendigkeit, den Klimawandel zu lindern und sich unausweichlichen Folgen erfolgreich anzupassen, gilt es für den IPCC bzw. dessen Akteur:innen, eine zunehmend komplexe Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik zu navigieren. Den an Sachständen beteiligten Wissenschaftler:innen stellt sich die immer herausforderndere Aufgabe, politikrelevante Bewertungen mit politikneutralen Lösungsansätzen in Einklang zu bringen. Längst ist aber Klima(-wandel), wie Hannah Knox in ihrem Essay „Thinking like a climate“ beschreibt, zu „politischer Materie“ geworden, in welcher diejenigen besondere Verantwortung tragen, die Klima(-wandel) verstehen und eben „wie ein Klima denken”. Hieraus ergeben sich neue Rollenbilder, neue und Verantwortungsgefühle und -gefüge für und von Wissenschaftler:innen. Besonders in Bezug auf den IPCC-Prozess stellt sich hier die Frage, wie sich individuelle Verantwortung zum institutionellen Neutralitätsgebot verhält und wie beteiligte Akteur:innen das zunehmende Spannungsverhältnis von Wissenschaft, Verantwortung und Engagement (bis hin zu Aktivismus) wahrnehmen.

Ausgehend von einer der Fragestellungen dieses Panels – welche Auswirkungen die Klimakrise auf Verantwortung von Wissenschaftler:innen hat –, wendet sich mein Beitrag explizit der Rolle und den Verantwortlichkeiten von Wissenschaftler:innen zu, die am IPCC beteiligt waren. Statt Verantwortung für die Klimakrise auf der Rezipientenseite von Klimawissenschaft/-information zu verorten und betrachten, konzentriere ich mich auf diejenigen, die Klimawissen zum Wohle der globalen Gemeinschaft produzieren, evaluieren und synthetisieren. Durch diese konzeptionelle Linse gebrochen, begreife ich den Verantwortungsbegriff über häufig naturwissenschaftlich dominierte Fragen von Verschuldung und Haftbarkeit innerhalb des Klimadiskurses hinaus als einen interdisziplinären Theorieansatz, der es mir ermöglicht, den Verantwortungsbegriff weiter zu fassen. Ich frage: Welche Verantwortung geht mit Klimawissen einher?