Konstruktion nationaler Zugehörigkeit in Ungarn nach 2010: Die Geographie einer Führerfigur
Abstract
Seit 2010 steht Ungarn paradigmatisch für den weltweiten Aufstieg von zunehmend autoritären nationalistischen und populistischen Regimen. Die anhaltende Hegemonie der Regierungskoalition beruht zum Teil auf der Mobilisierung nationalistischer Stimmungen gegen verschiedene äußere Bedrohungen und Feindbilder. Dies kommt zum Ausdruck in der Ablösung der “Bevölkerung” als Subjekt einer vorgeblich konsensualen technokratischen Regierung durch “das Volk”, das durch starke Affekte gebunden ist, während nationale Territorien und Grenzen in den Fokus der Politik gerückt werden. In diesem Kontext verkörpert die Führerfigur die Einheit der „nationalen Gemeinschaft“ und spielt eine herausragende Rolle bei der Artikulation der Linien der Inklusion und Exklusion, die sie definieren.
Der Raum ist für diese Figur von wesentlicher Bedeutung: Sie ist sowohl räumlich konstruiert als auch formt sie den Raum durch ihre Präsenz. In meinem Beitrag möchte ich diese sich wechselseitig stärkende Verbindung am Beispiel der Figur Viktor Orbáns und ihrer Rolle bei der Re-Produktion des ungarischen Regimes seit 2010 untersuchen. Ich stütze mich auf das politische Denken von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, indem ich die antagonistischen Artikulationen nachzeichne, durch die die nationale Gemeinschaft umschrieben wird. Historische Bruchlinien, die mit bestimmten materiellen Räumen verwoben sind, können reaktiviert, vertieft, oder mit neuen Konflikten verbunden werden, wenn sie als Bühne für die Inszenierung der Führerfigur genutzt werden. Während symbolische Räume die Führerfigur in ihrer Rolle naturalisieren und legitimieren.
Von den Ufern der flutenden Donau über die siebenbürgische Stadt Băile Tușnad (oder Tusnádfürdő auf Ungarisch) bis hin zu den wichtigsten symbolischen Räumen Budapests verfolge ich die Orte, an denen eine Persona konstruiert wird, die eine bestimmte Vision der ungarischen nationalen Gemeinschaft versinnbildlicht. Gleichzeitig berücksichtige ich auch, wie sich diese Räume wiederum verändern. Parallel zu einer Führerfigur entsteht ein nationales Territorium, das durch die Antagonismen definiert wird, die festlegen, wer dazugehört und wer nicht. In diesem Kontext ist die Führerfigur so etwas wie ein Knotenpunkt, an dem sich das Territorium mit anderen Diskursen, die die nationale Gemeinschaft strukturieren, überschneidet. Insgesamt konzentriert sich der Beitrag auf die Rolle des Raums bei der Konstruktion von Figuren, die Gemeinschaften binden, und umgekehrt darauf, wie die Räumlichkeit von Gemeinschaften durch solche Figuren geformt wird.