Krieg und Frieden: Zu den Geographien der Gewalt

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 3
Autor*innen
Benedikt Korf (Universität Zürich)
Conrad Schetter (BICC)
Kurz­be­schreib­ung
Diese Einleitung zur Fachsitzung skizziert die Dynamiken und Folgen des Verschwimmens der Grenzen zwischen «Krieg und Frieden» in Europa und anderswo und die daraus entstehenden «Geographien der Gewalt» auf.
Schlag­wörter
Krieg, Frieden, Geographien der Gewalt, Politische Geographie

Abstract

“War and Peace: What’s the difference?” fragte David Keen in einem einflussreichen Artikel schon vor über zwanzig Jahren. Seine Frage zielte auf die zunehmende Unmöglichkeit, klare Grenzen zwischen dem Zustand des Krieges und dem des Friedens zu ziehen. Vielmehr verschwimmen diese Grenzen immer mehr in gewalttätigen Konflikten. Derek Gregory spricht etwa pointiert vom «everywhere war», um die räumliche Entgrenzung des Krieges deutlich zu machen. Doch scheint die klare Trennung zwischen Krieg und Frieden noch immer den Blick auf aktuelle Konflikte zu prägen: So ist auch der Ausspruch des deutschen Bundeskanzlers über eine «Zeitenwende» zu verstehen, wenn damit gemeint sein sollte, es gebe wieder Krieg in Europa und dieser Zustand lasse sich trennscharf von einem früheren Zustand – «Frieden» - abgrenzen. Auch die Äusserung von Jürgen Habermas im Frühjahr 2022, der Krieg sei zurück in Europa, passt in diese Muster. Solche Sichtweisen verkennen die Tatsache, dass auch vor dem russischen Einmarsch in Europa der Krieg nicht ganz verschwunden war, und insbesondere auf dem Territorium der Ukraine schon seit einigen Jahren militärische Auseinandersetzung stattfanden, wenn auch auf weniger intensivem Niveau als heute. In dieser Einführung zur Fachsitzung hinterfragen wir bestehende geopolitische Denkweisen von «Krieg und Frieden» aus ethnographischer und postkolonialer Perspektive und zeigen die spezifischen «Geographien der Gewalt» auf, die vom Krieg betroffene Räume prägen, indem sie soziale, politische und ökonomische Beziehungen fragmentieren, neue Gewaltordnungen schaffen, und zugleich die Grenzen zwischen «Krieg und Frieden» zunehmend zum Verschwinden bringen.