Lokale Entwicklungsstrategien, die die Peripherisierung verstärken? Der Fall ländlicher Räume in Nordostdeutschland

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 11:00–12:30
Sitzungsraum
SH 0.101
Autor*innen
Joséphine Lécuyer (Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne)
Kurz­be­schreib­ung
Anhand von drei Fallstudien in ländlichen Regionen des Landes Mecklenburg-Vorpommern wird aufgezeigt, dass die von den lokalen Akteuren umgesetzten Entwicklungsstrategien letztlich zu einer verstärkten Peripherisierung ihres Gebietes beitragen.

Abstract

Die Peripherisierung lässt sich durch die Kombination von vier Dimensionen charakterisieren: Abwanderung, Abkopplung, Abhängigkeit und Stigmatisierung (Kühn, Weck, 2013). Häufig ist es die Verflechtung dieser vier Dimensionen, die es besonders schwierig macht, ihr durch öffentliche Maßnahmen zu begegnen.

In diesem Beitrag wird analysiert, inwiefern Entwicklungsstrategien, die von lokalen Akteur*innen in peripherisierten ländlichen Räumen umgesetzt werden, dazu beitragen können, die Peripherisierung zu verstärken.

Zunächst wird gezeigt, dass viele Entwicklungsstrategien in strukturschwachen Räumen auf die Aufwertung des Kultur- und Naturerbes abzielen (Schenk, 2012). Diese Aufwertung erfolgt jedoch meist für ein Publikum außerhalb der Region und kommt nicht unbedingt den Einwohnern zugute. Wie insbesondere die Corona-Pandemie gezeigt hat, sind auf den Tourismus ausgerichtete Strategien zudem sehr unsicher und verstärken die Abhängigkeit der ländlichen Räume von der Kundschaft der großen städtischen Zentren.

Schließlich wird gezeigt, dass viele der Entwicklungsstrategien den Standort im Einflussbereich einer Großstadt aufwerten. Die Nähe zu einer benachbarten Metropole als Arbeitsplatzzentrum kann dazu beitragen, Einwohner in die Region zu locken oder dort zu halten, zwingt sie jedoch zu langen täglichen Fahrten, die letztlich ihre Lebensqualität mindern und neue Abhängigkeiten einführen, zum Beispiel vom Auto und von Energiekosten. Die Bereitstellung großer Flächen als Gewerbegebiete kann zwar zur Schaffung von Arbeitsplätzen vor Ort beitragen, aber die höheren Positionen werden häufig weiterhin von Personen besetzt, die in den großen städtischen Zentren wohnen.

Es wurden insbesondere drei Regionen näher untersucht, die alle drei im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern liegen. Unser methodischer Rahmen basiert auf einer Mischung aus qualitativen Methoden, die 36 Interviews mit institutionellen und nicht-institutionellen Akteur*innen auf Landes- und lokaler Ebene, die Beobachtung von 14 Tagungen zur ländlichen Entwicklung sowie die Analyse der lokalen Presse und von Online-Material umfasst.

Kühn, Manfred und Sabine Weck. 2013. Peripherisierung – ein Erklärungsansatz zur Entstehung von Peripherien. In: Peripherisierung, Stigmatisierung, Abhängigkeit? Deutsche Mittelstädte und ihr Umgang mit Peripherisierungsprozessen., hrsg. v. Matthias Bernt u. Heike Liebmann, 24–46. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Schenk, Winfried. 2012. De l’espace résiduel aux paysages culturels : les nouvelles conceptions de la ruralité et de ses ressources dans les politiques territoriales en Allemagne. In: Réinventer les campagnes en Allemagne, hrsg v. Karl Martin Born u. Guillaume Lacquement u. Beatrice von Hirschhausen, 43-58, Lyon, ENS Editions.