Making (certain) climate futures: Wissen, Macht und Gerechtigkeit in Klimamodellen

Vortrag
Sitzungstermin
Freitag (22. September 2023), 09:00–10:30
Sitzungsraum
HZ 9
Autor*innen
Juliane Schumacher (Leibniz-Zentrum Moderner Orient)
Kurz­be­schreib­ung
Klimamodelle sind eine entscheidende Grundlage für die Klimapolitik und Forschung, sie beruhen in ihrer derzeitigen Form auf bestimmten Grundannahmen. Der Beitrag diskutiert ausgehend von aktueller Kritik, welche Diskurse, Praktiken und Materialitäten in der Klimamodellierung eine Rolle spielen, welche Rolle Gerechtigkeitsfragen dabei spielen und wie aus einer kritische Perspektive damit umgegangen werden kann.

Abstract

Klimamodelle spielen weit über die Klimawissenschaft hinaus eine wichtige Rolle. Aus den frühen simplen Modellen sind hochkomplexe Gebilde geworden, die eine Vielzahl an Variablen einbeziehen, und die sich vom Nachweis der globalen Erwärmung zunehmend zur Prognose möglicher ‚climate futures‘ verschoben haben. Bis vor Kurzem hat die Frage, wie diese Modelle “gemacht” werden, welche Techniken, Materialitäten, Pratiken, aber auch Diskurse und Grundannahmen dabei eine Rolle spielen, kaum eine Rolle gespielt. Das führt gerade im Fall sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zum Klimawandel teils zu Widersprüchen: Arbeiten in diesem Bereich haben häufig den Anspruch, (Wissens)Kategorien zu dekonstruieren oder zu hinterfragen, und positionieren sich kritisch gegenüber dem modernen Verständnis einer neutralen, quantitativ-technokratischen Wissenschaft. Gleichzeitig beziehen sie sich in ihrer Argumentation in Bezug auf den Klimawandel häufig auf die Ergebnisse ebensolcher Forschung, denn die Klima-Modellierung kann in vieler Hinsicht als Verkörperung „klassisch westlicher“ Wissenschaft gelten. Zugleich lässt sie sich nicht trennen von der Epistemologie der globalen Erwärmung – diese lässt sich nur mit Hilfe bestimmter Technologien, Praktiken und aufgrund des Vorhandenseins eines globalen Netzes der Datengewinnung überhaupt als (Forschungs)objekt herstellen.

Über die letzten Jahre haben Untersuchungen zu Klimamodellen aus einer sozialwissenschaftlichen Richtung oder den Science and Technology Studies begonnen, sich vermehrt kritisch mit Klimamodellen zu beschäftigen, etwa mit Fragen Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten. Die temporalities und spatialities der Modelle und Fragen von Gerechtigkeit haben bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden. Gerade diese machen jedoch häufig die Spezifik von Klima-Modellierungen aus, zeigen die Situiertheit, die Kontingenzen und die Machtverhältnisse, die ihnen eingeschrieben sind. Auch im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen ist zuletzt Kritik geäußert worden an der derzeitigen Praxis der Produktion und Auswahl von Klimamodellen, die ökonomische und normative Vorannahmen verschleiern und bestimmte Formen von Klimawissen und Formen des Zukunftmachens ausschließen.

Dieser Beitrag möchte auf explorative Weise mit diesen Fragen beschäftigen. Welche Techniken, Praktiken, Materialitäten und Formen des Wissens spielen bei der Herstellung von Klimamodellen eine Rolle? Was wird im Rahmen der Modellierung aufgenommen, was ausgeschlossen? Was gilt als wahrscheinlich, was nicht? Welche Räume werden im Rahmen der Modellierungen geschaffen, welche historischen und gegenwärtigen Machtverhältnisse eingeschrieben oder umgekehrt außer Kraft gesetzt? Und wie kann aus einer kritischen Perspektive damit umgegangen werden – welche alternativen Vorschläge gibt es, und wie kann Wissen über mögliche Verläufe der globalen Erwärmung generiert werden, ohne damit die Zukunft auf bestimmte, verschieden wahrscheinliche Zukunftsszenarien zu reduzieren?