Marketisierung des Bildungsübergangs ans Gymnasium in Zürich

Vortrag
Sitzungstermin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Sitzungsraum
HZ 12
Autor*innen
Itta Bauer (Universität Zürich; ETH Zürich)
Sara Landolt (Universität Zürich)
Kurz­be­schreib­ung
Der Beitrag stellt Ergebnisse aus einem laufenden SNSF-Forschungsprojekt vor, das auf der Basis eines performativen Marktverständnisses den lokalen Bildungsmarkt fokussiert, der sich am hochselektiven Übertritt ans Gymnasium in Zürich entwickelt hat.

Abstract

Der Beitrag stellt Ergebnisse aus einem laufenden SNSF-Forschungsprojekt vor, das den lokalen Bildungsmarkt fokussiert, der sich am hochselektiven Übertritt ans Gymnasium in Zürich entwickelt hat. Welche Effekte eine zunehmende Vermarktlichung von Bildung annehmen kann, haben Forschungsarbeiten aus dem angloamerikanischen und asiatischen Raum eindrücklich aufgezeigt, wobei explizit auch auf bildungspolitische Ungereimtheiten und verschiedene Formen des Widerstands eingegangen wird (z. B. Cohen, 2020; Cohen & Lizotte, 2015; Lipman, 2013; Lizotte, 2013; Zhang, 2022). Der Beitrag knüpft an diese verschiedenen konzeptionellen Ansätze an. Auf der Basis unseres empirischen Fallbeispiels möchten wir die theoretische Debatte weiterentwickeln, indem wir in Anlehnung an Christian Berndt und Marc Boeckler ein performatives Verständnis von Märkten verwenden, um die Widersprüchlichkeit von (nicht‑)menschlichen Akteuren erfassen und die «Kämpfe zwischen antagonistischen Rationalitäten» (Berndt & Boeckler, 2023: 131) nachzeichnen zu können.

Ein performatives Verständnis von «Märkten als kontingente Ergebnisse der Artikulation verschiedener Markt- und Nicht-Markt-Logiken» (ebd., 2023: 133) ermöglicht es, zwei Dinge zu beleuchten: Erstens können wir die Auswirkungen der Konzeptualisierung realer Märkte als im Entstehen begriffene Märkte verstehen und zweitens werden die Möglichkeiten für Anfechtungen und Widerstand sichtbar, ohne dass dabei eine scharfe Grenze zwischen Staat und Markt gezogen wird.

Empirisch bezieht sich unsere Forschung auf den extrem selektiven Übertritt von der Primarschule ans Gymnasium in Zürich, den nur etwa 20% eines Jahrgangs schaffen. Die Selektion dieser Schüler*innen wird anhand der Vornoten in Deutsch und Mathematik sowie einer zentralen Aufnahmeprüfung (ZAP) getroffen. Um sich auf diese entscheidende Prüfung vorzubereiten, bieten die öffentlichen Schulen in der Stadt Zürich kostenfreie Vorbereitungskurse an. Neben diesen öffentlichen Kursen findet sich ein grosses Angebot an privaten Vorbereitungsprogrammen. Über die Jahre ist so ein kommerzielles Angebot entstanden, das die soziale Ungleichheit am Übertritt ans Gymnasium weiter verstärkt (Moser et al. 2011), ein Trend, der sich auch auf nationaler Ebene deutlich abbildet. Basierend auf Daten aus ethnographischer Forschung und qualitativer Interviews gehen wir folgenden Fragen nach: Wie werden Märkte für Bildungsübergänge geschaffen? Wie werden Bildungsdienstleistungen von Unternehmern und öffentlichen Schulen kommodifiziert und angepasst? Welche kalkulierenden Akteure konstituieren den Bildungsübergangsmarkt mit und was genau tun sie? Welche stabilisierenden und de-stabilisierenden Effekte lassen sich bei der Analyse dieser komplexen realen Marktbegegnungen feststellen? Bei all diesen Fragen zeigen sich die drei Themen «soziale Ungleichheit», «(kein) Wandel des Bildungssystems» und «Gymnasium als Familienprojekt» als relevante Orientierungspunkte.