Marketisierung, Kommodifizierung, Privatisierung: Neue Herausforderungen und Alternativen in sensiblen Bereichen der sozialen Reproduktion (1/2)

Fachsitzung
Sitzungs-ID
FS-397
Sitzungsreihe
Gehe zu: Teil (2/2)
Termin
Donnerstag (21. September 2023), 16:30–18:00
Raum
HZ 12
Sitzungsleitung
Itta Bauer (Universität Zürich; ETH Zürich)
Sara Landolt (Universität Zürich)
Kurz­be­schreib­ung
Anhand verschiedener Beispiele diskutieren wir: Welche Auswirkungen haben Marketisierungsprozesse insbesondere auf sensible Bereiche der sozialen Reproduktion? Welche Widersprüche und Chancen, Widerstände und Alternativen zeigen sich hier?
Itta Bauer (Universität Zürich; ETH Zürich)
Sara Landolt (Universität Zürich)
Marketisierung des Bildungsübergangs ans Gymnasium in Zürich

Abstract der Sitzung

Mit dem Begriff der sozialen „Reproduktion” möchten wir an Debatten anknüpfen, die Marketisierung, Kommodifizierung und Privatisierung von Dingen, Grundrechten oder Tätigkeiten diskutieren, die bislang als staatlich-gemeinschaftliche Aufgaben galten, als Privat- oder Intimssphäre angesehen oder gar als undenkbar, unfassbar oder unsichtbar eingestuft wurden. Basierend auf Marketisierungsdiskursen in der internationalen Bildungs- und Sozialgeographie (u.a. von Cohen, Holloway, Katz, Schurr) und der Wirtschaftsgeographie (u.a. von Berndt & Boeckler, Fraser, Gibson-Graham, Peck, Schwiter), verstehen wir Marketisierung als einen vielschichtigen und in sich z.T. auch widersprüchlichen Prozess. Für die konkrete Umsetzung von Marketisierung bedarf es der Kommodifizierung, die für das Pricing, Branding, Promoting und Selling auf dem Markplatz zuständig ist, was auch einen asymmetrischen Austausch von „Waren“ beinhalten kann (z.B. Dating-Plattformen, Crowdfunding).

Werden insbesondere sensible Bereiche der sozialen Reproduktion (Bildung, Wohnung, Gesundheit, Betreuung, Infrastruktur, Sicherheit u.v.a.m.) mit Prozessen der Marketisierung, Re-Kommodifzierung und Re-Privatisierung konfrontiert, so stehen sich verschiedene Interessensgruppen mit ihren je eigenen Logiken, Legitimationsansprüchen und Werten gegenüber: staatliche Institutionen, gemeinwohlorientierte Initiativen, private Akteur\*innen und gewinnorientierte Unternehmen. In solchen Spannungsfeldern eröffnet sich auch eine grosse Chance, da hier gegebenenfalls Widerstände und Alternativen sichtbar werden, die sich für eine Kurskorrektur einsetzen und Entwicklungsmöglichkeiten für einen postneoliberalen Gesellschaftsentwurf aufzeigen.

Wir möchten konzeptionelle und empirische Beiträge einladen, die sich von einer der folgenden Fragen angesprochen fühlen oder weitere Fragen aufwerfen:

  1. Inwiefern beinhaltet Marketisierung und Kommodifizierung auch positive Effekte oder potenzielle Vorteile?

  2. Wer oder was wird von Kommodifizierung verletzt, beeinträchtigt, benachteiligt und auf welche Weise geschieht dies?

  3. Wie erfolgreich leisten Menschen (nicht nur als Konsument\*innen) und Dinge Widerstand – und gegen was konkret? Wie gelingen Kurskorrekturen, Alternativen und Gegenbewegungen zu Kommodifizierung?

  4. Welche Akteure sind zwar direkt in Marketisierungsprozesse involviert, bleiben aber bislang im Verborgenen? Wo und wer sind die Nicht-Sichtbaren und was sind ihre politischen Anliegen?

  5. Inwieweit denken wir uns bereits selbst als „commodities”? Wie vermarkten wir uns (als Geograph\*innen) selbst? Welche Formen und Möglichkeiten des Widerstands gibt es?